DIE MUNDART DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ROMAN BANZER durch die Tatsache, dass die Substantive in unse- rem Fall 21 Prozent des Textvolumens ausmachen, und dass beispielsweise in Text 6 61,2 Prozent der Substantive nichtbasismundartlich sind. Die Ge- bersprache ist hierbei fast ausschliesslich das Hochdeutsche. Wenn man bedenkt, dass viele Fremdwörter mit grosser Wahrscheinlichkeit über das Hochdeutsche in die Mundart vermittelt wer- den, kann bezüglich der Lexik in diesem Fall von einer starken Nehmer-Geber-Beziehung zwischen Mundart und Hochdeutsch gesprochen werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Korrelation der Interferenzen mit extralinguisti- schen Determinanten. Hier Hessen sich eindeutige Ergebnisse zeigen. Die Interferenzen korrelieren mit dem Alter der Gewährsperson, mit dem Ge- sprächsthema und mit dem Öffentlichkeitsgrad. Evident ist in diesem Zusammenhang die Zunahme der nichtbasismundartlichen Wörter bei grosser Öffentlichkeit und Anstieg der Wissenschaftlich- keit / Intellektualität der Texte. Zweigeteilt ist die Alterskurve. Sie entspricht im Bereich der Familie und der Freunde in etwa der Norm: «Hohes Alter - wenig nichtbasismundartliche Wörter» und wider- spricht dieser im Bereich der Öffentlichkeit gänz- lich, indem es hier heisst: «Hohes Alter - viel Wör- ter, die nicht zur Basismundart gehören». Die Mundart Liechtensteins wird auf lexikalischer Ebe- ne durch das Hochdeutsche am deutlichsten beein- flusst. Dennoch untersuchen wir die Lautung, weil die- se unserer Ansicht nach das primär-qualifizierende Charakteristikum der Mundart in den einzelnen Gemeinden Liechtensteins ist. Der Wortschatz dif- ferenziert die Dialekte nicht so stark wie dies bei unterschiedlichen Fremdsprachen der Fall ist. Die Wortgeographie kann zwar areal deutliche Ge- brauchsunterschiede zeigen, und es kann zwischen weit entfernten Dialekten sicher auch auf Grund der Lexik zu Verständigungsschwierigkeiten kom- men, bei so nahe verwandten Ortsmundarten wie in Liechtenstein ist dies mit Ausnahme der Walser- siedlung Triesenberg jedoch nicht der Fall, obwohl lokal bedingte Wortschatzunterschiede vorhanden waren und möglicherweise noch heute vorhanden
sind. So sagte man beispielsweise früher im Unter- land für den Zapfhahn am Most- oder Weinfass «pipa» und im Oberland «schpiina». 3.2. BASISMUNDART - ORTSMUNDART Die Lautvariation und der Lautwandel werden über den Vergleich Basismundart - Ortsmundart erho- ben. Wir gebrauchen die Basismundart für unsere Arbeit als ein sprachtheoretisches Konstrukt. «Mit Basisdialekt meinen wir ein archaisches Ideal- system, das aus den variierenden ortsmundartli- chen Inventaren, die durch die kommunikativen Normen der Sprachgemeinschaft gesteuert wer- den, konstruiert wird. Er ist ein linguistisches Mo- dell» (Jakob 1985, S. 12). Dieses System berück- sichtigt weder die Historizität noch Heterogenität der Mundart, es ist eine sprachtheoretisch homo- gene Konstruktion. Die Unterscheidung von Basis- mundart und Ortsmundart dient als Grundlage zur empirischen Beschreibung der Variation und des Lautwandels und postuliert keine wirklich existen- te homogene, ältere, reine Mundart, wie dies in alten Mundartbeschreibungen öfters geschieht. Wir verstehen den Begriff der Basismundart in einem eng definierten Sinn. Arno Ruoff (1973, S. 48) bei- spielsweise benutzt den Begriff «Grundmundart» in einem weiteren Sinn: «Unter Mundart (oder Dia- lekt) verstehe ich also die durch den Lautstand repräsentierte, in einem engeren Gebiet gültige Sprachform, wie sie von der Mehrzahl der Einhei- mischen im normalen, alltäglichen Gespräch ge- braucht wird. Mundart mit eindeutig örtlicher Aus- prägung bezeichne ich als Ortsmundart, die derzeit <tiefste>, älteste Schicht dieser Ortsmundart als Grundmundart, deren Veränderung sich wohl lang- samer vollzieht als die der anderen Sprachschich- ten, die aber keinesfalls als völlig stagnierend auf eine zeitliche Schicht feststellbar ist.» In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Begriffe Mundart und Dialekt benützt, ohne Re- chenschaft über deren Bedeutung und Umfang ab- gelegt zu haben. Das war auch nicht nötig, wird im 177