Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DIE MUNDART DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ROMAN BANZER sprächspartner und der Situation abhängige gesell- schaftliche Gebrauchsnormen gibt, vollzieht sich ein gleitendes Kontinuum. Im allgemeinen ist auf dem Land der Basisdialekt die bodenständige, all- tägliche Sprachform der älteren, alteingesessenen Bevölkerung und weist daher örtliche bis kleinräu- mige Unterschiede auf. Die jüngere Generation zeigt dort dagegen im alltäglichen Gespräch allerlei Abweichungen, die meistens vom Dialekt der kultu- rell die Region beherrschenden Stadt ausgehen und den regionalen Verkehrsdialekt ausmachen» (Wiesinger 1986, S. 106). Die Standardsprache geniesst besonders in Österreich hohes Prestige. Das Hochdeutsche be- kommt als soziale Kennzeichnung ein besonderes Gewicht und ist sprachsoziologischer Ausdruck für Elite und Stand. So ist in der Schule und in den Medien viel seltener Mundart zu hören als in der benachbarten Schweiz. Ein wenig anders liegen die sprachpragmatischen Begebenheiten in Vorarl- berg. Kennzeichnend ist, dass dieses Randgebiet zwischen alemannischen und bayerischen Dialek- ten eben auch aus pragmatischer Sicht eine Zwi- schenstellung einnimmt. Die Mundart beherrscht hier viel mehr Domänen als im restlichen Öster- reich und besitzt - ähnlich wie in der Schweiz - Identifikationscharakter zur Betonung der politi- schen und kulturellen Eigenständigkeit. Anderer- seits will man aber nicht «hinter Wien zurückste- hen» und ist aus diesem Grund natürlich darauf bedacht, den negativ besetzten Dialekt durch eine elitär wirkende Umgangssprache zu ersetzen. «Sie hat eindeutig soziale Hintergründe, da diejenigen, die sie sprechen, vorwiegend Angehörige von Fa- brikantenkreisen, sich von jenen sprachlich distan- zieren, welche nicht so reich sind wie sie ... Es wird wohl selten eine Sprachform geben, deren Ursprung so eindeutig in den sozialen Verhältnis- sen zu suchen ist» (Gabriel 1973, S. 75). Das «Bödeledeutsch», «Ganahldeutsch» und «Pfänderdeutsch»36 findet in den Mundartbeschrei- bungen von Jutz noch keine Aufnahme. Gabriel hat sich damit bislang marginal befasst. Es scheint, dass sich der Gebrauch einer Umgangssprache erst in den letzten Jahrzehnten auf immer breitere Be-völkerungsschichten 
auszudehnen beginnt, und dass die jüngeren Vorarlberger, beeinflusst durch zentrale Medien, den Fremdenverkehr, die Wirt- schaft und die gestiegene Mobilität diese Umgangs- sprache auch immer mehr benutzen. Die Unter- schiede aber zwischen dem schweizerischen Rheintal und dem Vorarlberg sind klar. Hier Diglos- sie mit Mundart und Standard. Dort Polyglossie mit Mundart und Hochdeutsch und dazwischen ein umgangssprachliches Kontinuum, das sich offen- sichtlich auf immer grössere Sprechergruppen aus- dehnt. Der Sprachformengebrauch in der Schweiz und in Liechtenstein unterscheidet sich nicht wesent- lich. Sowohl in der Schweiz wie auch in Liechten- stein wird grundsätzlich ein zweistufiges Sprach- system verwendet. «Da die gesprochene Form des Schriftdeutschen, die Vortragssprache, auf die Schule, einzelne Institutionen und Berufe einge- schränkt bleibt, fällt dem Schweizerdeutschen zu- dem von alters her die Aufgabe einer allgemeinen Umgangssprache zu, ...» (Schwarzenbach 1969, S.69). Die grössten Unterschiede bezüglich des Sprach- formengebrauchs haben wir für die Kirche fest- gestellt. Während in Liechtenstein in der Kirche fast ausschliesslich Standarddeutsch gesprochen wird, was damit zusammenhängt, dass die meisten Priester keine Liechtensteiner sind, gibt es nach Schwarzenbach in der Schweiz in den Kirchen die unterschiedlichsten Situationen, in denen Mundart gesprochen wird. Sei dies nun das freie Gebet37, die Mundartpredigt38, die Feldpredigt39 oder der Jugendgottesdienst40. Ein besonderes Zeichen für den Unterschied des Sprachformengebrauchs in der Kirche ist die Tatsache, dass eine Bibelüberset- zung in Liechtensteiner Dialekt im Gegensatz zur Schweiz nicht existiert und unserer Ansicht nach von den Liechtensteinern auch als sehr fremd emp- funden würde. Auch Schwarzenbach fällt es schwer, für die öf- fentliche Rede oder den öffentlichen Vortrag Fakto- ren zu finden, die den Gebrauch von Mundart oder Hochdeutsch definieren. So kann für verschiedene Domänen wie Reden bei Schützenempfängen, Bun- 175
	        

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