Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

DIE MUNDART DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ROMAN BANZER Regierung, des Klerus, des Fürstenhauses, allge- mein aus Vertretern der öffentlichen Ämter be- stand. 2.4.6. FAMILIE, FREIZEIT UND VEREINE In Liechtenstein gab es 1980 bei 27700 Einwoh- nern 5883 Familienhaushaltungen. Darunter ver- steht das Statistische Amt «Haushaltungen, die we- nigstens die Familie des Haushaltungsvorstandes umfassen. Als Familie gilt ein Ehepaar (Vorstand mit Ehepartner) oder ein Aszendenz-Deszendenz- verhältnis 1. Grades (Vorstand mit Kind; Vorstand mit Vater, Mutter)» (Volkszählung 1980, S. 8). In diesen Familien lebten 21'200 Personen. Über die Muttersprache oder die ehemalige Staatsbürger- schaft der Ehegattinnen und Ehegatten konnte weder das Statistische Amt noch die Einwohner- kontrolle der Gemeinden Auskunft geben. Leider gibt es in den Statistischen Jahrbüchern keine kon- kreteren Angaben über die Dialektsprecher in Liechtenstein. Annäherungen über die Zahl der Mundartsprecher in den Familien erhält man über Hochrechnungen. Von 12'600 verheirateten Perso- nen waren ca. 70 Prozent Liechtensteiner Mund- artsprecher (vgl. S. 154 f). Wie in den bisherigen Kapiteln bereits aufge- zeigt wurde, gibt es nur wenige Faktoren, die einen Mundartsprecher dazu bewegen, Flochdeutsch zu sprechen. Die Familie, die Freizeit und zum gröss- ten Teil auch die Vereine summieren all jene Bedin- gungen auf sich, die für den mundartlichen Sprach- gebrauch Voraussetzung sind: familiäre, private Situierung, alltäglicher, spontaner, einfacher Ge- sprächsgegenstand sowie vorhandene Dialektkom- petenz. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass im familiären Bereich nur dann Hochdeutsch gespro- chen wird, wenn der Kommunikationspartner die Mundart nicht versteht. So bei Besuchen aus Deutschland oder bei Fremdsprachigen, die nur Standard sprechen. Inwieweit der Sozialstatus der Sprecher auch in Liechtenstein einen Einfluss auf die Variantenwahl hat, wie dies in Deutschland und 
Österreich der Fall ist,32 wurde nicht untersucht. Es ist schon mehrmals betont worden, dass sich Liechtenstein, was die Sprachpragmatik anbetrifft, zur Schweiz stellt. «Mundart wird erstens aus- nahmslos von allen sozialen Schichten gesprochen; zweitens reicht ihr Geltungsbereich im pragmati- schen Sinne weit über den irgendeiner in Deutsch- land gesprochenen Mundart hinaus. Sie ist nicht nur die Sprache des familiären Umgangs, sondern auch die weiter Bereiche des öffentlichen Lebens» (Ris 1973, S. 35). Und dennoch wurde in Vorge- sprächen und durch teilnehmende Beobachtung festgestellt, dass im Sprachkontakt mit Personen aus dem süddeutschen oder österreichischen Raum, die eine mundartlich gefärbte Umgangs- sprache sprechen, auch von Liechtensteinern diese Umgangssprache oder das Hochdeutsch gewählt wird, auch wenn bekannt ist, dass der Gesprächs- partner die Mundart des Landes versteht. Es muss hier festgehalten werden, dass dies die Ausnahme ist, die die Regel bestätigt. In Gesprächen, in denen wir den Gründen für diesen atypischen Sprachge- brauch nachgingen, wurde immer wieder geäus- sert, es seien sozial Bessergestellte, oder solche, die es gerne wären, die Llochdeutsch sprechen. Es gäbe eben auch solche, für die das Standarddeut- sch mehr Prestige besitze als die Mundart. Demzufolge wurde versucht, die Untersuchung des Sprachgebrauchs in der Familie so anzulegen, dass die Rededeterminante der Schichtzugehörig- keit in die Analyse miteinbezogen wurde. Eine Schichtung im klassischen Sinn (Unter-, Mittel- und Oberschicht) fällt schwer, weil in Liechtenstein die Oberschicht, vertreten durch ein starkes Bürgertum, durch Industriemagnaten, einen hohen Klerus, eine bedeutende Regierungskaste oder durch reiche Fi- nanciers, fehlte. Liechtenstein war bis Ende des Zweiten Weltkrieges ein armes Bauernland, das durch die Fürsten von Liechtenstein in Stellvertre- tung von Wien aus regiert wurde. Wohl gibt es heu- te Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aber anderen Schichten müssen diese nicht angehören, zumal die Arbeitgeber grösstenteils Arbeiterkinder sind; zu- dem lässt der relative Wohlstand aller potentiell vorhandene Grenzen noch undeutlicher werden. 169
	        

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