Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1998) (95)

auch, dass es nicht konsequent angewendet wurde, sondern in der Realität oftmals Kompromisse zum Zuge kamen.22 In der Frage des Wertes historischer Abbildun- gen als Quelle für «richtige» Rekonstruktionen gin- gen die Meinungen weit auseinander. Vertraten die Burgenforscher Otto Piper (1841-1921) und Bodo Ebhardt (1865-1945) schon um die Jahrhundert- wende die Ansicht, historische Abbildungen seien wissenschaftliche Hilfsmittel und sollten bei Burg- wiederherstellungen vermehrt benutzt werden23, so wies der Kunsthistoriker und «Antirestaurator» Georg Dehio (1850-1932) anhand des Beispiels von Heidelberg aus grundsätzlichen Überlegungen heraus nach, dass historische Abbildungen als Quellen für Rekonstruktionen keinen Wert hätten, denn «es sind nämlich die ältesten der in Frage ste- henden Zeugnisse nicht älter als das Ende des 16. Jahrhunderts24; durch nichts wird verbürgt, dass diese die unveränderte erste Bauidee wieder- geben. ... Mehr als das Allgemeinste verrraten sie nicht. Wer danach bauen will, muss seiner Phanta- sie einen grossen Spielraum geben.»25 Diese skepti- sche Einschränkung trifft grundsätzlich auch auf das Hohenemser Gemälde zu, welches den Bauzu- stand des Vaduzer Burgkomplexes in einer Zeitstel- lung aus dem späten 17. Jahrhundert dokumentiert und zudem nur eine Aussenfront (Südseite) zeigt. Dehio nahm 1901 kein Blatt vor den Mund, als er Kollegenschelte verteilte: «Den Raub der Zeit durch Trugbilder ersetzen zu wollen, ist das Gegenteil von historischer Pietät. Wir sollten unsere Ehre darin suchen, die Schätze der Vergangenheit möglichst unverkürzt der Zukunft zu Überliefern, nicht, ihnen den Stempel irgendeiner heutigen, dem Irrtum un- terworfenen Deutung aufzudrücken.»26 Die War- nung stiess nicht nur 1906 auf taube Ohren - auch unsere derzeitig wieder sehr populären postmoder- nen Rekonstruktionsfanatiker schlagen derartige Argumente - trotz der Charta von Venedig 196427 in den Wind.28 
DAS ÄLTESTE PORTRÄT VON SCHLOSS VADUZ Mit dem Gemälde von 1662 liegt nun zwar nicht die erste, aber die 
älteste realistische Abbildung der Burg ob Vaduz vor. Die früheste derzeit be- kannte Ansicht von Schloss Vaduz ist bereits nach- mittelalterlich und stammt aus der Zeit um 1600, was, wie schon Dehio bemerkte, allgemein üblich zu sein scheint.29 Auf einem Prospekt der Herr- schaften Vaduz und Schellenberg dominiert Schloss Vaduz vom Berg herunter über die Landschaft und bildet als grösste Einzelarchitektur den Bildmittel- punkt.30 Das Schloss ist jedoch nicht wirklichkeits- getreu dargestellt, die vielerlei turmartigen Gebäu- deteile stehen lediglich als Zeichen für «feste Burg». Schloss Vaduz zeugt auf diesem minuziösen Landschaftsinventar, das aus der Vogelschau alle Burgen, Dörfer, Felder, Wälder und weitere Einzel- heiten in den Herrschaften präsentiert, von seiner wichtigen politischen Funktion als Herrschaftssitz unter den Sulzern. Aus diesem Bild spricht das Bedürfnis des regierenden Hauses nach repräsen- tativer Abbildung seiner Besitzungen. Ebenfalls aufgrund seiner politischen Bedeu- tung, diesmal allerdings nicht mehr als Mittelpunkt der Herrschaft, sondern als persönliches Attribut des Herrschers selbst, findet Schloss Vaduz nun auf dem Porträt des Grafen Franz Wilhelm I. von Ho- henems-Vaduz (Abb. 1) seinen Platz zugewiesen. Auf dem Hohenemser Gemälde ist die südliche Schauseite (Abb. 3) im Sinne eines markanten und aussagekräftigen Profils dargestellt: Zum ersten Mal haben wir - im Unterschied zu der oben er- wähnten zeichenhaften Darstellung von 1600 - ein Porträt der Burg mit Realitätsgehalt vor uns: Vor einer dramatischen Wolkenkulisse erscheinen die von links nach rechts hochgestaffelten Gebäude- teile hell erleuchtet und kumulieren im rot aufra- genden Bergfried. Gerade noch erahnen lässt sich am linken Bildrand das im Schatten liegende Wachhaus über dem Schlosstor zum talseitigen Westzwinger. Anschliessend erhebt sich der süd- westliche Saalbau (Palas) mit einer stark beleuchte- ten linken Gebäudekante über mehrere Geschosse. 132
	        

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