Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1997) (94)

mer Quelle: dem Bekenntnis zur menschlichen Würde, zur Autonomie des Individuums, wie dies die grossen deutschen Philosophen der Aufklärung, allen voran Immanuel Kant, postuliert und gefor- dert haben. Den Einwand gegen diese hohe Einschätzung des Menschen gibt der Historiker gleich selber, wenn er im Anschluss an die Proklamation des Kai- sers schreibt: «So schrieb Kaiser Joseph II und wie ihn gerade der Stand auffasste, den er erheben wollte, davon hat Jakob Heibert132 Proben gege- ben.»133 Diese Proben aus Heiberts Chronik, die Kaiser auf drei Seiten abdruckt, bringen ein rech- tes Durcheinander von Ereignissen, Gerüchten, Ängsten, von Glauben und Aberglauben, Wichti- gem und weniger Wichtigem. Eine kleine Kostpro- be: «1783. Im Hornung waren schon Blumen, dass es eine Freude war, sie anzusehen; doch fiel am letzten März tiefer Schnee. Im Juli war ein starker Höhendampf (Höhenrauch) oder Nebel, dass die Sonne kaum durchdringen mochte. Da war grosser Schrecken bei uns und man meinte, es komme ein Erdbidem oder Untergang. Zu Schan und Garns fie- len am Abend feurige Kugeln vom Himmel; aber man konnte sie nicht aufheben. Das jagte den Leu- ten neuen Schrecken ein und man stellte alle Tage Bittgänge an. Es gab schwere Donnerwetter, der Juli und August war sehr heiss, der Höhendampf blieb immer. Der Herbst war schön, doch gab es Krankheiten und Fieber. Nun kam ein Mandat in die Gemeinden: Man sollte alle Leute aufschreiben, Jung und Alt, Gross und Klein. Die Bauern sperrten sich lange und wollten die Sache nicht eingehen; denn sie meinten, dass es etwas Böses bedeute. 1784. Die neue Lehre ist im Fortgang, es wird grausam viel erzählt von den neuen Einrichtungen in Oestreich. Das Wetterläuten ist abgethan, die Geistlichen dürfen nicht mehr in der Kirche bestat- tet werden, die Marienbilder werden der Kleider und des Schmuckes beraubt und verkauft und der Rosenkranz ist abgeschafft und ist dieses das Be- dauerlichste, was man in einer Chronik beschrei- ben kann. Auch sind die Häuser in Oestreich nu- merirt worden gerade ob der Hausthür. Gott weiss, wohin das alles noch führen wird.»134 
Ein totales Ausgeliefertsein ist aus diesen Zeilen spürbar, das völlige Unvermögen, Neues, Unerwar- tetes in das Gewohnte einzuordnen. Daher eine tie- fe Angst vor jeder Änderung. Dieser Dumpfheit ge- genüber nimmt sich das Bekenntnis zur geistigen Autonomie des Menschen wie höhnischer Dünkel aus. Wenn wir noch weitere Stellen beiziehen, wo Kaiser das Volk zu verschiedenen Zeiten als in geis- tiger Hinsicht sehr rückständig schildert, so ver- stehen wir die Auflehnung des Priesters und Seel- sorgers Johann Baptist Büchel. Der Grundtenor seiner Änderungen ist der, dass er keinem Nicht- Katholiken einen Gewissensgrund für seinen ande- ren Glauben zubilligt, sondern seinen Abfall von sehr weltlichen Motiven ableitet. Eine Kirche, die derart unanfechtbar und heilsnotwendig (allein- seligmachend) ist, gibt den Zugehörigen - aller- dings nur ihnen - Sicherheit und Geborgenheit. Was Büchel über die Klöster des Mittelalters schrieb, mag er sich auch für die Kirche der Neu- zeit gewünscht haben: «Die Klöster wurden Frie- densinseln, und je heftiger draussen die Stürme tobten und je düsterer des Waldes Dunkel war, umso sicherer schienen diese Burgen Gottes und umso behaglicher der Aufenthalt am warmen Her- de ... zu sein.»135 «Am warmen Herde der Bildung» ergänzt Büchel. Bildung, im Sinne Kaisers, führt aus der Dumpfheit der in Heiberts Chronik be- schriebenen Menschen heraus. Einzelne Wendun- gen im Brief «An meine Landsleute» Hessen sich merkwürdig genau als Antwort auf die Zustände bei Heibert verstehen: «Die Mutter grosser und unsäglicher Übel ist die Unwissenheit. Denn der Unwissende, eben weil er nichts weiss, ist argwöh- nisch, misstrauisch ... Er widerstrebt allem Guten, weil er es nicht kennt, weil er keinen Blick in die Folgen der Handlungen, in die Zukunft hat. Die Un- wissenheit lässt keine wahre Freiheit aufkommen ,..»136 Johann Baptist Büchel, der sich um das Schulwesen des Landes sehr verdient gemacht hat,137 würde den Schwerpunkt allerdings anders setzen: Nicht Freiheit, Selbstbestimmung, Autono- mie, sondern Unterordnung, Gehorsam, Demut dürften aus seiner Sicht oberste (oder einfach mög- liche?) Ziele der Erziehung und Bildung sein.137a 200
	        

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