Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1997) (94)

treten, Kaisers «republikanische Gesinnung» nur wenig gemildert ist. Erstaunlich deshalb, weil sich der Landverweser Menzinger und die Wiener Hof- kanzlei doch gerade an dieser Darstellung stiessen. Von In der Maurs Gegenposition ist in die zweite Auflage wenig eingeflossen. Zwar werden die Neuerungen und die Verfassung von 1818 etwas ausführlicher und neutraler behandelt, und Schuppler erscheint in einem etwas milderen Licht.96 Aber die meisten Textstellen, wo sich Kai- sers Unwille über die neue Ordnung am entschie- densten Luft macht, sind wörtlich übernommen. Eine Auswahl: 1. «Grosse Unruhe herrschte zwar, aber sie musste erfolgen, da man den bisherigen politischen Zustand gänzlich aufhob, und nicht das Volk war daran Schuld. Nicht dadurch, dass man ein Volk, es sei klein oder gross, erniedrigt, ihm je- des Recht absprechen und entreissen will, erzieht man es, pflanzt ihm Liebe zur Ordnung, zum Recht und menschliches Gefühl und Wesen ein.»97 2. Über die Länder des Rheinbundes: «Alle Selbstän- digkeit und Würde der Regierten hörte auf, alle Freiheit in Rede und Schrift ward unterdrückt.»98 3. «Die Souveränität brachte dem Volke sonach nur grössere Lasten, ohne dass sie ihm durch etwas versüsst worden wären.»99 Bei Büchel durch Aus- weitung leicht gemildert: «Die Souveränität brachte also dem Volke wie in den anderen deutschen Staa- ten nur grössere Lasten, ohne dass sie ihm durch irgend etwas versüsst worden wären.»100 4. Nur die oben zitierte grundsätzliche Aussage über Recht und Gnade101 fehlt. Ihren Ausgangspunkt aber übernimmt Büchel, wenn auch entscheidend abge- schwächt. Bei Kaiser heisst es, nach dem fürstli- chen Zugeständnis von 1733: «So erhielt die Land- schaft ihre alte Verfassung, aber sehr beschnitten und beschränkt und nicht ohne bittere Zuthat, in- dem ihr dies alles <aus blosser Gnade, wie das Schreiben sagt, und ohne dass ihr das geringste Recht zugestanden wäre, mithin auch ohne Konse- quenz) bewilligt wurde. Dies war das Ergebniss ei- nes fünfzehnjährigen Kampfes. <Der Sieg, sagt ein altes, deutsches Sprichwort, ist bei den Überwun- denen).»102 Bei Büchel: «So erhielt das Land seine alte Verfassung wieder, aber nicht ohne bittere Zu-tat, 
indem ihr dies alles <aus blosser Gnade und ohne dass ihr das geringste Recht zugestanden wäre, mithin auch ohne Konsequenz) bewilliget wurde, wie das Schreiben sagt.» Der Zusatz fehlt.103 5. Dass Kaisers kritische Rückschau auf die «fast mit jedem Jahrhundert eingetretenen Regie- rungsänderungen und Neuerungen»104 wegfällt, ist durch Büchels Erweiterung des Buches (Fort- führung der Geschichte bis in seine eigene Zeit) zu verstehen; leider verschwindet dadurch auch Kai- sers Bekenntnis zu Familie, Besitz und Menschen- würde: «Drei Dinge scheinen vor allem als wesent- liche Grundlagen eines christlich civilisierten Gemeinwesen der Betrachtung und Berücksichti- gung werth: die Heiligkeit der Familie als Grundla- ge aller Erziehung und wahrhaft menschlichen Entwicklung, die Heiligkeit des Besitzes (Ei- genthums) als Bedingung aller Fortbildung und Kultur und endlich die Anerkennung, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist, mithin eine Selbst- bestimmung, einen Selbstzweck hat, den er nur in der Gesellschaft erreicht, und dass er nie ein Mittel oder Werkzeug anderer Menschen sein und jene ihn nicht zu einem solchen machen kann.»105 Johann Baptist Büchel ist also in der Parteinah- me für das Volk weitgehend mit Peter Kaiser einig. Man könnte gegen diese Behauptung einwenden, er habe sich als Herausgeber einer zweiten, wenn auch «verbesserten» Auflage äusserster Zurückhal- tung beflissen. Dass er aber mit seiner Meinung, wo er sie für wichtig findet, nicht zurückhält, zeigt der religiöse Bereich, in dem seine Ausgabe nun sehr von Kaisers Werk abweicht. Grob können Büchels Änderungen unter zwei Aspekten zusam- mengefasst werden: Erstens geht es ihm darum, durch kleinere und grössere Retouchen kirchliche Würdenträger und Institutionen in ein besseres Licht zu stellen. Die auffälligsten Eingriffe betreffen aber zweitens die Darstellung und Beurteilung nicht-katholischer Glaubens- und Geistesströmun- gen. Vor dem Hintergrund Büchel'scher Bearbei- tung wird erst richtig klar, wie offen und tolerant Kaiser anderen confessiones gegenüber war und wie mutig er seine Überzeugung in die Geschichte eines Volkes (und für dieses Volk), das noch in 196
	        

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