Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1997) (94)

PETER KAISER IM LICHTE DER NACHWELT JÖRG GERMANN Peter Kaiser war im Lauf seines Lebens scharfen Angriffen ausgesetzt. In etwas gemilderter Form dauerte die Kritik an Werk und Person auch nach seinem Tode fort. Ein Jahrhundert verging, bis sich eine sachliche Betrachtungsweise gegenüber emo- tional gefärbter Einschätzung durchsetzte. Hinter emotionaler Kritik steht aber, mehr oder weniger offen, ein Engagement, das ernst zu nehmen ist. Gegensätzliche Geisteswelten treffen aufeinander. Im Widerstreit der Meinungen spiegelt sich ein Ge- schichtsprozess, der sich abseits der Schlachtfelder abspielt. Und es ist, gleich wie in Kriegen, nicht von vornherein sicher, dass das Bessere siegt. Solche grundsätzlichen Gedanken haben mich zu dieser Untersuchung bewogen. PETER KAISER IN DER KRITIK SEINER ZEIT1 Der Einsatz innerhalb der Deutschen Burschen- schaft brachte dem Freiburger Studenten aus dem fernen kleinen Reichsstaat Liechtenstein eine frühe Gegnerschaft: Das restaurative System des Deut- schen Bundes. Während er hier als Freigeist und potentieller Umstürzler verfolgt wurde, warf man ihm später, als Professor in Aarau, eine katholisch- konservative Haltung vor. Diese widersprüchlichen Schubladisierungen aus extrem gegensätzlichen Lagern können kaum befremden, wenn wir uns daran erinnern, dass Kaiser von verschiedenen Zeitgenossen als Mann der Mitte, allen Extremen abhold, charakterisiert wurde, welches Urteil spä- tere Biographen aufgriffen.2 Eine weitere Feindschaft lud sich Peter Kaiser als Rektor von Disentis auf. Auch hier geriet er zwi- schen die Fronten, wenngleich ihn diesmal die eine Seite, der liberal gesinnte Schulrat, gegen die bischöfliche Kurie in Schutz nahm. Die Fehde wur- de einer breiten Öffentlichkeit dadurch bekannt, dass die Schweizerische Kirchenzeitung sich ein- mischte und ein wahres Kesseltreiben gegen Rek- tor Kaiser veranstaltete.3 Als «Aargauer Grossmo- gul», «Bundes- und Herzensfreund der Aargauer Kirchenstürmerei», als «Frömmigkeitsspekulant»4 wurde er beschimpft. 
Endlich brachte ihm seine «Geschichte des Für- stenthums Liechtenstein» auch in der Heimat eine Gegnerschaft, die aus dynastischen wie kirchlichen Kreisen kam. Die Berufungen Kaisers 1840 zum Abgeordneten nach Wien und 1848 zum Vertreter Liechtensteins in Frankfurt zeigen, dass die massive Kritik im Volk keinen Nährboden gefunden, ihn vielleicht gar empfohlen hatte. Aus seinem kleinen, damals in jeder Beziehung begrenzten Vaterland war Peter Kaiser ausgebrochen und hatte sich Gei- stesströmungen anvertraut, die ihn in politischer wie religiöser Hinsicht weit von seiner Herkunft entfernten. Darin eine «Tragik» zu erblicken und unglücklichen Umständen die Schuld zu geben, 
5 scheint mir ungerechtfertigt: Eine Persönlichkeit vom Range Peter Kaisers ist nicht einfach dem Schicksal oder gar Zufall unterworfen; ein Akt des freien Willens spielt in allen Entscheiden zumin- dest mit. Wenn wir vom Vorwurf der Aargauer Radikalen (der sich auch nie wiederholte) absehen, richten sich die Angriffe auf zwei Kernpunkte: die republi- kanische Gesinnung einerseits und die mangelnde Katholizität andererseits. In welchem Lichte erscheint nun der oft befein- dete Mann der Nachwelt? 1) Die Ereignisse in Peter Kaisers Leben glaube ich angesichts der verschiedenen Publikationen voraussetzen zu dürfen. Besonders hin- gewiesen sei auf die Biographie von Arthur Brunhart: Brunhart 1993. 2) Deutlich vor allem bei Bundi 1991. 3) Hingehend behandelt und mit Dokumenten belegt in Müller 1964. 4) Müller 1964, S. 86. 5) Müller 1944. «Leider kam unser Liechtensteiner von Freiburg ... wiederum in ein seiner katholischen Herkunft nicht entsprechendes Milieu.» Und etwas später: «Es liegt eine gewisse Tragik im Leben Kaisers, dass er, obwohl Sohn eines dynastischen Landes, doch seine Lebenstage fast immer in ganz demokratischen, ja sogar scharf- macherisch demokratischen Landen verbringen musste.» Müller 1944. S. 71. 185
	        

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