Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1997) (94)

nenswert in dieser Verordnung ist der Hinweis, dass «zunächst der Dienstgeber für die Kosten der Behandlung seines zahlungsunfähigen Dienstboten haftet». Im übrigen werden in dieser Verordnung nähere Ausführungen über den zwischen Gemein- de und Arzt abzuschliessenden Vertrag gemacht. Die Gemeinden waren also verpflichtet, für die ärztliche Behandlung ihrer Gemeindearmen Ver- tragsärzte zu bestellen. Andererseits war der Lan- desphysikus durch den Landtagsbeschluss vom 6. Juli 1889 zur unentgeltlichen Behandlung kran- ker Armer verpflichtet worden. Auf den ersten Blick scheint hier ein gewisser Widerspruch zu bestehen. Dieser löst sich aber auf, wenn man die Begriffe des «Armen» und des «Gemeindearmen» genauer analysiert. Die Vertragsärzte der Gemein- den hatten nur die «Gemeindearmen» beziehungs- weise «Armengenössigen», also jene mittellosen und besitzlosen Einwohner, welche von der Ar- menkommission als solche bezeichnet waren, zu behandeln. Die Ärzte wurden dafür auch von den Gemeinden honoriert. Zu unterscheiden von diesen «Gemeindearmen» ist aber die «arme oder min- derbemittelte Klasse» wie sie im Landtagsprotokoll vom 6. Juli 1889 bezeichnet wird. Diese stellte ein- fach den ärmeren Teil der Bevölkerung dar, ohne das Stigma der «Armengenössigkeit» zu tragen. Für diese hatte der Landesphysikus dreimal wöchentlich eine unentgeltliche Sprechstunde zu halten. Er erhielt dafür aus Landesmitteln ein soge- nanntes Wartegeld von jährlich 500 fl. Die von ihm abgegebenen Medikamente wurden aus dem Lan- desarmenfonds bezahlt. In einem zweiten Paragraphen der Verordnung von 1892 werden die Bedingungen aufgezählt, un- ter denen für die Behandlungskosten armer Aus- länder der landschaftliche Armenfonds in An- spruch genommen werden kann. Albert Schädler hatte in seinen Gedanken über die Behandlung, Pflege und Versorgung der Kran- ken den Finger auf einen wunden Punkt gelegt, als er in seinen «Politischen Memorabilien»99 «die ge- ringen Mittel und die fast ständige Geldnot der Landleute» für eine mangelhafte ärztliche Versor- gung mitverantwortlich machte. Schädler schreibt: 
«Daher scheut man den Arzt, oder wünscht höch- stens Behandlung in der Ferne auf Krankenboten- bericht». Hier wird die offenbar verbreitete Übung angesprochen, dass man einen Boten, meistens ein Familienmitglied, zum Arzt schickte, der diesem, so gut es ging, die Krankheitssymptome des Patienten schilderte, worauf der Arzt dem Boten die ihm nötig erscheinenden Arzneien mitgab. Es ist dies ein Aspekt in der Geschichte der sozialen Medizin des 19. Jahrhunderts, dem bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. Im Prinzip galten die Bestimmungen über die Armenbehandlung, die Ende des 19. Jahrhunderts in Kraft waren, noch weit ins 20. Jahrhundert hin- ein. Erst die Schaffung der AHV-IV 1952 bezie- hungsweise 1959 und des Krankenkassenobligato- riums im Jahre 1972 machten die früheren Bestimmungen über die Armenbehandlung und de- ren Finanzierung dann gänzlich überflüssig. Weit vorausblickend hatte Landtagspräsident Dr. Albert Schädler schon im Jahre 1909 im Vorfeld der Beratungen über ein neues Gewerbegesetz sei- ne Gedanken über eine künftige Alters- und Invali- denversicherung dargelegt: «Etwas, was aber über den Rahmen der vorliegenden Gewerbeordnung vorläufig hinausgeht, wäre die gesetzliche Ein- führung der Alters- und Invalidenversicherung, speziell für Fabrikarbeiter. Für eine solche Versi- cherung würde auch der Arbeiter gerne seine Jah- resbeiträge bezahlen in der Hoffnung, in alten Ta- gen und im arbeitsunfähigen Zustande eine ihm rechtlich zustehende Alters- und Invalidenrente zu erhalten. Es sei hier auf diese sehr wünschenswer- te Einrichtung speziell aufmerksam gemacht und sowohl der fürstlichen Regierung als auch dem Landtage warm empfohlen, in dieser Richtung vor- zuarbeiten, um in Bälde eine unseren Verhältnis- sen entsprechende Versicherung dieser Art ins Le- ben rufen zu können».100 ENTSTEHUNG DER KRANKENKASSEN Die Entstehung der Krankenkassen brachte ein neues soziales Element in die Hilfe für die Kranken. 130
	        

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