Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

gottesdienst und Lebensmittelgeschäfte zusätzlich zwischen 18 und 19 Uhr geöffnet haben.381 Diese Vorschriften wurden jedoch sehr schlecht eingehalten, und die alljährlichen Bewilligungen zum Offenhalten der Geschäfte an den Sonn- und Feiertagen im Dezember zeigen, dass es sehr ein- fach war, Ausnahmebewilligungen zu erhalten.382 In den dreissiger Jahren versuchten der Verband für Handel und Gewerbe und die Gewerbegenos- senschaft immer wieder, über die Regierung den gesetzlichen Bestimmungen Nachdruck zu ver- schaffen. In der Folge erliess die Regierung 1934 und 1939 Bekanntmachungen, in denen sie die gel- tenden Vorschriften in Erinnerung rief und darauf hinwies, dass Übertretungen bestraft werden.383 Die Kontrolle der gesetzlichen Bestimmungen ob- lag der Polizei, die aber häufig ein Auge zuzu- drücken schien.384 Daneben fungierte die Gewerbe- genossenschaft als Kontrollorgan, das der Regie- rung Übertretungen des Ladenschlusses oder der Sonntagsruhe anzeigte.385 Für die schlechte Einhaltung der gesetzlichen Vor- schriften sind die Interviews beredter Ausdruck. Während bei J. und R.J. die Sonntagsruhe konse- quent eingehalten wurde, bediente J.Q. manchmal auch sonntags Kundinnen und J.K. gab an, dass viele Kunden aus Zeitgründen gerade sonntags den Laden aufsuchten.386 Zu Verstössen gegen die Sonntagsruhe kam es am häufigsten dort, wo der Laden im Wohnhaus integriert war: zum einen, weil in solchen Läden die Hemmschwelle, auch sonntags die Dienste der Kaufleute in Anspruch zu nehmen, wohl recht tief war, zum anderen, da die Kontrolle der Vorschriften in diesen Läden grössere Schwierigkeiten bot, als wenn Verkaufslokal und Wohnhaus räumlich getrennt waren. Auch für den täglichen Arbeitsablauf spielte die Einheit von Wohn- und Arbeitsplatz eine aus- schlaggebende Rolle. Bei J.Q. gingen die Arbeitsbereiche ineinander über:387 Wenn sie um 8 Uhr den Laden öffnete, hatte sie zuvor schon etliche Hausarbeit erledigt und Schweine und Hühner gefüttert. Vormittags 
arbeitete sie hauptsächlich im Laden, zwischen- hinein kochte sie das Mittagessen. Der Laden blieb bis zirka 19 Uhr durchgehend geöffnet. Später kommende Kundinnen wurden selbstverständlich auch noch bedient.388 In der Erntezeit ging J.Q. häufig nachmittags aufs Feld. In den ersten Jahren bediente dann der Vater alleine, nach dessen Tod schloss J.Q. den Laden für diese Zeit und öffnete erst wieder gegen Abend. Die zeitliche Flexibilität bezog sich also nicht nur auf die Ladenschlusszei- ten, sondern auch auf die Ladenöffnungszeiten - wenigstens bei kleineren Läden wie demjenigen von J.Q. Nach 19 Uhr - oder je nach Kundschaft auch später - endete die Arbeitszeit J.Q.'s als Händlerin, die somit mit Unterbrüchen - Mahlzei- ten, Haus- und Feldarbeit - ungefähr elf Stunden betrug. Meist ohne Pause schlössen sich weitere Haushaltarbeiten und vor allem die Versorgung der Kinder an. Charakteristisch für die Arbeit J.Q.'s als Händlerin ist also ihre allgegenwärtige Verschränkung mit ihrer LIaushalts- und Erzie- hungsarbeit. Bei J. und R.J. war diese Verflech- tung nur sehr gering. J.J. stand während sechs Ta- gen in der Woche von morgens halb acht Uhr bis abends 19.30, 20.00 Uhr durchgehend im Laden; R.J. hingegen half dazwischen auch auf dem Feld.389 Der von J.Q. in der Erinnerung irrtüm- licherweise auf 19 Uhr festgesetzte Ladenschluss wurde bei den Geschwistern J. nach ihrer Mei- nung ebenfalls regelmässig überschritten.390 Nach H.B. gab es noch gar keinen gesetzlich festgelegten Ladenschluss. Ihre Mutter habe oft bis um 21 oder 22 Uhr im Laden gestanden, weil viele Kundinnen erst nach der Arbeit auf Feld und Hof ins «Lädeli» einkaufen gingen.391 Im Verhältnis zu diesen langen Arbeitszeiten nahm sich der Verdienst sehr gering aus. Dazu J.Q.: «Der Verdienst war (...) an einem kleinen Ort. Mein Gott! Bei einem Kilo Zucker hat man - soviel mir ist - kaum 10 Rappen verdient. Halt ganz wenig!»392 Nur vom Laden alleine hätte die Familie Q. denn auch nicht leben können. Der grössere und zentra- ler gelegene Laden von J. und R.J. warf zwar si- cherlich höhere, aber im Vergleich zum Landwirt- 84
	        

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