Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

FRAUENARBEIT IN LIECHTENSTEIN 1924 BIS 1939 KAUFFRAUEN / CLAUDIA HEEB-FLECK den dreissiger Jahren immer mehr ausbreitenden Waren- und Versandhäuser der angrenzenden Schweiz dar. An erster Stelle sind hier die Migros und das Kaufhaus Modern in Buchs zu nennen.344 Hauptanstrengungen, um sich dieser Konkurrenz zu erwehren, waren Abschottungsversuche in Form von Aufrufen - ja Ermahnungen - in den Zei- tungen, diese Warenhäuser zu meiden und im In- land einzukaufen. Dabei argumentierte das Han- delsgewerbe nicht mit etwaigen Vorteilen der liech- tensteinischen Geschäfte (wie z.B. persönliche Be- dienung), sondern in den Aufrufen wurde an die So- lidarität mit dem Handelsgewerbe appelliert, noch häufiger aber an die Pflicht aller Bürgerinnen, den einheimischen Handel zu unterstützen.345 Zum ei- nen galt diese Pflicht als volkswirtschaftliche Pflicht, zum anderen wurde sie zur patriotischen Pflicht hinaufstilisiert, da der Staat ein Interesse an einem gesunden Handels- und Gewerbestand habe bzw. auf einen gesunden Mittelstand angewiesen sei.346 Dieser ideologisch-moralischen Kampagne gegen ausländische Warenhäuser war offenbar grosser Erfolg beschieden. So erliess die Regierung auf eine Beschwerde des Verbandes liechtensteini- scher Kaufleute hin an die verschiedenen Ämter Weisung, dass, soweit erhältlich, alle Waren im In- land bezogen werden mussten. «Rechnungen, die entgegen diesem Auftrage für auswärts bezogene Materialien einlangen, [werden] nicht mehr [ange- wiesen]», schloss das Schreiben.347 Das Einkaufen in liechtensteinischen Läden galt als zum «Verhaltenskodex» gehörig, dessen Einhal- tung das Handelsgewerbe strengstens kontrollierte. Diese Überwachung ging so weit, dass das Han- delsgewerbe bei der Regierung gegen einzelne Be- amte aufgrund derer privaten Einkäufe Be- schwerde erhob, auf die die Regierung erstaunlich- erweise reagierte: «Es ist bei uns Klage erhoben worden, dass Sie ein besonders guter Kunde der Migros seien.»348 Die Regierung Hess es jedoch nicht dabei bewenden, die Vorwürfe weiterzuleiten und ihnen damit Verständnis entgegenzubringen, sondern sie unterstützte die Klagen, indem sie den Landesangestellten gegenüber ihre Missbilligung solchen Verhaltens klar ausdrückte.349 
Wie ernst die Vorwürfe genommen wurden, zeigen die Reaktionen der Beamten: Ein Beamter wies die Vorwürfe heftig von sich und schrieb der Regie- rung, dass er beweisen könne, dass nicht er, «son- 334) LLA. 1924, RE/2375 z.Zl. 958. LGBI, 1916, Nr. 2, Gesetz betref- fend Erlassung neuer Hausiervorschriften. BG betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 und Vollziehungsverordnung vom 29. November 1912. Handels- rcisende/r ist, «wer als Inhaber, Vertreter oder Angestellter eines Handels- oder Eabrikationsgeschäftes ausserhalb des Ortes, wo die- ses seinen Sitz hat, Bestellungen auf Waren sucht oder entgegen nimmt und keine Waren ohne besondere Bewilligung des eidgenös- sischen Handelsdepartementes mit sich führt». (Art. 1 der Vollzie- hungsverordnung). 335) LLA, 1926, RE/4381 / LLA, 1924. RE/4685 z.Zl. 958. 336) Mitteilungen der liecht. Handelskammer 1938, S. 6, Hervorhe- bung von mir. 337) LLA, 1936, RF/163, Nr. 359, 18.8. 1936, Hervorhebung von mir. 338) ON, 1924, Nr. 15, «Zum Hausierunwesen in Liechtenstein (Einges.)», Hervorhebung von mir. Interessanterweise kann sich J.Q. nicht mehr daran erinnern, dass der Hausierhandel und Handelsrei- sendenverkehr damals als grosse Konkurrenz bekämpft wurde. 339) Vgl. z.B.: Mitteilungen der liecht. Wirtschaftskammer 1938, S. 7 LLA. 1935, RF/155, Nr. 276. 340) LEA, 1924, RE/4326, Kongress der Internationalen Mittel- standsunion, September 1924, Gruppe Handel, 12. Resolution. 341) Nach den Verzeichnissen der Roten Karten von 1924 bis 1928 gab es relativ wenig liechtensteinische Handelsreisende: 1924: -, 1925-28: 7 bis 9, darunter nur eine Frau (Marie Haller, Schaan). 342) Vgl. z.B.: LLA, 1930, RF738I6/ LLA, 1930, RF/7541 z.Zl. 7388 LVolksblatt, 1924, Nr. 24 / LVolksblatt, 1928, Nr. 109. Die Regierung subventionierte 1931 z.B. «Hausierer verboten»-Tafeln. 1935 er- schien in den LN ein Aufruf, sich die Hausierpatente zeigen zu las- sen und bei der Regierung Erkundigungen über die moralische Inte- grität des Hausierers einzuholen (LN, 1935, Nr. 100). 343) LLA, 1936, RF/163, Nr. 359, Schreiben vom 12. August 1936. LLA, 1936, RF/163, Nr. 359, Protokoll über die Besprechung mit den Vertretern der Gewerbegenossenschaft vom 24. November 1936. 344) Vgl. auch S. 66. 345) Vgl. z.B.: LVolksblatt, 1928. Nr. 145 / LN, 1929, Nr. 150 / LVolksblatt, 1932, Nr. 125 /LN, 1933, Nr. 125. 346) LVolksblatt, 1928, Nr. 145 / LN, 1933, Nr. 71 / LVaterland, 1937, Nr. 46. Diese Mittelstandsideologie hängt mit dem Einfluss Stände- staatlichen Gedankengutes zusammen, das in Liechtenstein von recht grosser Bedeutung gewesen zu sein scheint. Genauere Unter- suchungen zu diesem Thema stehen noch aus. 347) LLA. 1925, RE/1463, Schreiben der Regierung vom 10. 4. 1925. 348) LIA, 1937, RF/172, Nr. 115, Schreiben vom 28. 7. 1937. 349) LLA, 1937, RF/172, Nr. 115, Schreiben vom 29. 7. 1937. 79
	        

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