Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

FRAUENARBEIT IN LIECHTENSTEIN 1924 BIS 1939 DAMENSCHNEIDERINNEN / CLAUDIA HEEB-FLECK Vor allem das letztere traf auf Liechtenstein in der Zwischenkriegszeit offensichtlich nicht zu. Der Grossteil der Damenschneiderinnen, Wäsche- schneiderinnen oder Modistinnen war ledig:269 die Volkszählung von 1941 führte von den 50 Schneiderinnen und den 37 Wäscheschneiderin- nen 45 respektive 34 als ledig auf. Unter diesen Schneiderinnen werden sich wohl auch einige - gewollt oder ungewollt - ledig gebliebene Frauen befunden haben, denen das Schneidergewerbe eine selbständige und gesellschaftlich akzeptierte - weil dem Bild des weiblichen Wesens entspre- chende - Existenzmöglichkeit bot. Schneiderinnen, die heirateten, scheinen meistens ihren Beruf auf- gegeben zu haben. Die Damenschneiderei als ein gut mit der Hausarbeit zu vereinbarender «Neben- erwerb» blieb also eine Ausnahme. Dementspre- chend führt die Volkszählung auch nur drei der dreiunddreissig selbständigen Damenschneiderin- nen als verheiratet auf.270 Joris/Witzig zählen den Schneiderinnenberuf zu den «Töchterberufen»,271 und die Verhältnisse in Liechtenstein entsprechen dieser Einordnung. Doch die potentielle Selbständigkeit verlieh diesem Beruf ein höheres Ansehen als anderen Töchter- berufen, beispielsweise im Gastgewerbe oder im Hausdienst. In bezug auf den Status ist es interes- sant, den «typischen Frauenberuf» der Damen- schneiderin mit dem «typischen Männerberuf» des Herrenschneiders zu vergleichen272 - vor allem, weil es sich hier um einen der wenigen von der konkreten Arbeit her direkt vergleichbaren Beruf handelt. Nuancen bezüglich Berufsbezeichnung 260) LLA, Jenny, Spoerry, Triesen, Fabrikakten 1911-1922. Nr. 2306. Die Nichtanerkennung des LAV durch Jenny, Spoerry & Cie wurde von der Regierung kommentarlos akzeptiert (LLA, 1922, Nr. 2306, Schreiben der Regierung an den LAV vom 12. Juni 1922). Vgl. auch: LLA, 1939, RF7194, Nr. 400, Schreiben der Ramco AG an die Regierung vom 10. Januar 1940 betreffend Anzeige wegen unbe- willigter Samstagnachmittagsarbeit. In diesem Schreiben bezweifelt die Ramco AG, «ob der Arbeiterverband die berufene Stelle [sei], um sich mit derart unsachlichen Anzeigen überhaupt zu beschäftigen». Des weiteren werden in diesem Schreiben Vertreter des LAV als «irgendwelche Personen» diffamiert, denen es nur darum ginge, «ihren persönlichen Ehrgeiz befriedigen» zu können. 
261) Vgl. dazu S. 42 und S. 55. 262) Vgl. z.B.: LLA, 1937, RF/173, Nr. 384. LAV, Briefe und Proto- kolle, 1930-36. Schreiben der Regierung an den LAV in Triesen vom 1. März 1933. I Her ist zu bemerken, dass, wenn sich die Arbeiterin- nen direkt an die Regierung wandten, der Einsatz der Regierung relativ gross war. Einigen Arbeiterinnen z.B., die die Regierung baten, sich für die Rückgängigmachung ihrer Entlassungen bei Jenny, Spoerry & Cie einzusetzen, konnte die Regierung zwar keinen posi- tiven Entscheid geben, dennoch bot sie diesen Arbeiterinnen an, sich für sie nach einer Stelle in einem anderen Betrieb oder einer Haus- haltung (!) umzusehen (LLA, 1931, RF/124, Nr. 38, Hervorhebung von mir). 263) RB, 1933, S. 112. 264) Nach den Fabrikstatistiken arbeiteten in der Bekleidungsindu- strie Ende 1937 16 und Ende 1938 22 Frauen. 1926, 1927 und 1930 wurden an Strickereibetriebe Konzessionen erteilt (Vgl. die entspre- chenden RBe). In Schaan gab es ein Bekleidungshaus (Emil Ospelt). das mehrere Damenschneideritinen und mindestens eine Modistin beschäftigte. 265) In den Quellen wird häufig nur von Näherinnen gesprochen. Dabei handelte es sich zum einen eben um Weissnäherinnen respek- tive Wäscheschneiderinnen, die das Anfertigen von Leib- und Bett- wäsche in einer Lehre erlernten, zum anderen bezeichnete man aber auch Frauen als Näherinnen, die in der Fabrik als Angelernte maschinell gefertigte Wäscheteile zusammennähten (Vgl. z.B.: LVolksblatt, 1938. Nr. 142). 266) Anhang, Interview mit H.B. In Liechtenstein arbeitete mit 66% (33) ein recht hoher Prozentsatz der Schneiderinnen als Selbständige (Volkszählung 1941, Tab. 19). Dazu die entsprechenden Zahlen in der Schweiz, allerdings von 1928: Von 39 154 Damenschneiderinnen waren 22 037 (56,3%) selb- ständig (Krebs, S. 6). 267) Anhang. Interview mit J.J. und R.J., der sich aus dieser Motivation heraus eine Zeitlang bei einer Damen- schneiderin ausbilden liess. 268) LVolksblatt, 1927, «Für Familie und Haus», Nr. 81, «Die Frau in selbständiger Stellung» von E.Th. Krebs, S. 50; Joris/Witzig, Frauengeschichte(n), S. 197; Ebenhoch, S. 72. 269) Vgl. zum folgenden Abschnitt: Volkszählung 1941, Tab. 19. 270) Allerdings liegt hier die Vermutung nahe, dass es eine recht hohe Zahl verheirateter Damenschneiderinnen gab, die gegen Ent- gelt zum Beispiel für Nachbarinnen oder Bekannte schneiderten, in den Statistiken aber nur als Hausfrauen aufschienen (Vgl. auch S. 76 und S. 93). 271) Joris/Witzig. Frauengeschichte(n), S. 196/197. 272) Während es sehr vereinzelt Herren- und Damenschneider gege- ben hat (Inserat von Eugen Nigg in den LN, 1926, Nr. 80 / Einreise- bewilligungen für zwei ausl. Damen- und Herrenschneider 1937), habe ich keine Damen- und Herrenschneiderin gefunden. In der Schweiz hingegen waren 1928 knapp 2 Prozent der Damen- schneiderinnen Männer und 32,8 Prozent der Herrenschneiderin- nen Frauen (Krebs, S. 6). 63
	        

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