Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

wären und noch eine Kleinigkeit übrigbliebe. Ab- schliessend hiess es: «Es wäre wenigstens etwas anstatt gar nichts.»235 Frauen verdienten zwar sehr wenig, dennoch wa- ren die Familien in der für Frauen wie Männer schlechten Beschäftigungslage auf den geringen Verdienst weiblicher Familienglieder angewiesen. So auch bei K.H., deren Vater 1935 starb und deren ältere Geschwister mit Ausnahme der ältesten Schwester verheiratet waren: «Der Jüngste hat eine Schreinerlehre gemacht. Für den musste ich verdienen, weil sonst niemand zu Hause war... Damit alle zu essen hatten... »236 ORGANISATION DER ARREITERINNEN In Liechtenstein sieht die gewerkschaftliche Orga- nisation auf eine sehr kurze Geschichte zurück. Erst 1920 wurde der Liechtensteinische Arbeiter- verband gegründet, der gemäss Statuten allen in Liechtenstein wohnenden Arbeitern und Arbeite- rinnen offenstand.237 Soweit ersichtlich, blieb der Liechtensteinische Ar- beiterverband (LAV) bis gegen Ende der dreissiger Jahre ein reiner Männerverband,2'3* erreichte als solcher aber bald einen beträchtlichen Organisa- tionsgrad.239 Als erstes Anzeichen eines gewissen Interesses auch an weiblichen Mitgliedern kann Artikel 4 der revidierten Statuten von 1931 gewer- tet werden, der den geringen Arbeiterinnenlöhnen in Form eines tieferen Mitgliederbeitrages Rech- nung trug.240 In den - allerdings spärlich - erhaltenen Quellen des Arbeiterverbandes sind erstmals 1940 verein- zelt weibliche Mitglieder nachgewiesen.241 Das ge- ringe Interesse des LAV an der Organisation der Arbeiterinnen und auch die Passivität der Arbeite- rinnen gegenüber dem LAV kommen in den Inter- views klar zum Ausdruck. K.H. und O.W. glaubten, dass es den Arbeiterver- band in den zwanziger Jahren noch gar nicht gege- ben habe. Eine erste Zurkenntnisnahme des LAV war bei beiden mit einer männlichen Interessen- organisation verbunden: «Aber da sind ja nur 
Mannsbilder drin gewesen. Eine Frau wurde da gar nicht gefragt.»242 Nach Angaben von K.H. traten die «Fabriggler» erst Ende der dreissiger Jahre dem Arbeiterver- band bei: «Später bekam man schon einen Zettel, dass man beitreten kann. Ungefähr 1936/37, oder später. Ich war auf alle Fälle nicht lange dabei.»243 Den Anliegen der Fabrikarbeiterinnen wurde nach K.H. jedoch kaum Rechnung getragen: «Da hat man halt manchmal eine Versammlung gehabt, aber gemacht worden ist für uns nichts.»244 Dies dürfte weitgehend den Tatsachen entsprochen haben. Konkrete Bestrebungen zur Verbesserung der Arbeitssituation in der Textilindustrie blieben selten. Expliziten Einsatz für die im Vergleich zu den Männern noch schlechter gestellten Frauen zeigte der LAV in der Zwischenkriegszeit - soweit ersichtlich - nie. Der LAV orientierte sich nämlich primär an den Arbeitern im Baugewerbe.245 Demzufolge lag sein Hauptaugenmerk darauf, die Arbeitsmarktsitua- tion der Bauarbeiter zu verbessern - z.B. über die Forderung nach Notstandsarbeiten oder über den Einsatz für die Verbesserungen der Arbeitsbedin- gungen im Baugewerbe.246 Auch der Einsatz des LAV für den Auf- und Ausbau der Sozialeinrichtungen konzentrierte sich auf die Situation im Baugewerbe - wobei zu berücksichti- gen ist, dass im Gewerbe die Schutzbestimmungen für Arbeiterinnen ungleich schlechter waren als in der Industrie. Im gleichen Jahr wie der LAV, der also die Anliegen der Arbeiterinnen nur ganz am Rande vertrat, wurde eine spezifisch weibliche In- teressenvertretung, der «Liechtensteinische katho- lische Arbeiterinnenverein», gegründet. Trotz dem an der Gründungsversammlung bekundeten gros- sen Interesse - 150 Arbeiterinnen nahmen teil, von denen 50 den Beitritt erklärten - scheint der Arbei- terinnenverein nach kurzer Zeit wieder aufgelöst worden zu sein.247 Einzig erhalten geblieben sind dessen Statuten, die immerhin einen gewissen Einblick geben, welche 58
	        

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