Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

wenn er diese halbe Stunde nicht mitmachen kann oder will - gekündigt hat Niemand - also war man mit der halben Stunde Mehrarbeit einverstanden. Eine Lohnerhöhung hat nicht stattgefunden, . . . Wenn wir uns. Löhne noch weiter erhöhen, dann sind wir absolut nicht mehr konkurrenzfähig und hat dann die Weiterführung unseres Geschäftes in Liechtenstein kein Interesse für uns - weil uns auch umsomehr aus der Schweiz günstigere Ar- beitsbedingungen vorliegen. Der oder die Person - welche uns eins auswischen will - schadet nicht uns sondern der liechtensteinischen Wirtschafts- lage im Allgemeinen. . . .»186 Welche Macht die Unternehmer im Kleinstaat Liechtenstein hatten, verdeutlicht ein Schreiben der Ramco AG von 1939. Die Regierung gelangte wegen unbewilligter Samstagnachmittagsarbeit an das Unternehmen. Ähnlich wie die Firmenleitung der Lederwarenfabrik kritisierte das Unternehmen die im Vergleich zur Schweiz «kleinliche» und «schikanöse» Art der Reklamationen in Liechten- stein und schloss das Schreiben: «Wir werden auch trotz dieses neuen Vorkommnisses alles daran setzen, um irgendwelche Waren für abge- hende Dampfer nach Übersee fertig zu stellen, selbst wenn wir hierdurch ein anderes Mal wie- derum das Missvergnügen eines unzufriedenen Menschen erwecken sollten.»187 Unter der absolu- ten Priorität wirtschaftlicher Interessen wurde hier das Pochen auf gesetzliche Bestimmungen zum «Missvergnügen eines unzufriedenen Menschen» umgedeutet. Nebst der schlechten Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und den mangelhaften Kontrollen war es ausserdem einfach, Ausnahme- bewilligungen zu erhalten. So erteilte die Regie- rung 1928 der Firma Jenny, Spoerry & Cie trotz Frauennachtarbeitsverbot auf telefonische An- frage hin die Genehmigung, tags darauf für «6 Mädchen» eine Nachtschicht einzuschalten. Eben- falls auf telefonische Anfrage hin gab die Regie- rung der Ausrüsterei Hans Tribelhorn sehr kurz- fristig «die Bewilligung heute [Samstag] nachmit- tags von 1 bis 4 Uhr in ihrem Betriebe arbeiten zu lassen».188 
Die Arbeitszeitverteilung auf die einzelnen Wo- chentage variierte bei Jenny, Spoerry & Cie je nach- dem, ob die Belegschaft Schicht, 48 Stunden oder 52 Stunden pro Woche arbeitete. Bei der 48-Stunden-Woche betrug die Arbeitszeit vielfach von Montag bis Donnerstag neuneinhalb Stunden und freitags zehn Stunden.189 Diejenigen Frauen, die 52 Stunden oder Schicht arbeiteten, mussten auch samstags in die Fabrik gehen.190 Als die Spinnerei in Vaduz ab Winter 1937 auch die 48-Stunden-Woche auf fünfeinhalb Tage verteilen wollte, erwuchs von sehen der Arbeiterschaft gros- se Opposition. Nach erfolglosem Einspruch bei der Betriebsleitung erhofften sich die Arbeiterinnen durch eine Eingabe an die Regierung deren Unter- stützung. Sie begründeten ihre Forderung, den freien Samstag beizubehalten, nicht etwa mit not- wendiger Erholungszeit, sondern damit, dass der Tag «so notwendig zu Hause gebraucht und benö- tigt wird», also damit, dass sie Zeit zur Verrichtung von Haus- und Feldarbeit brauchten.191 Jenny, Spoerry & Cie stellten sich auf den Standpunkt, dass wohl im Sommer, «wenn die Leute auf dem Acker arbeiten können», eine Fünftagewoche zu verantworten sei; im Winter hingegen wäre der Stillstand der Maschinen von Freitagabend bis Montagmorgen wegen der hohen Heizkosten für das Unternehmen zu kostspielig. Ausserdem sei es «für die Arbeiterschaft kein Bedürfnis ..., den Samstag gänzlich frei zu haben».192 Die Schutzwirkung der gesetzlichen Arbeitszeitre- gelung war also in der Zwischenkriegszeit mini- mal. Die Betriebsleitungen setzten sich laufend über die Schutzbestimmungen hinweg, und die verantwortlichen Behörden kamen ihrer Kontroll- aufgabe nur sehr ungenügend nach. Die Bewilli- gungspraxis zeigt, dass der Einhaltung formaljuri- stischer Regelungen (Einholen von Sonderbewilli- gungen z.B.) oft mehr Gewicht beigemessen wurde als der tatsächlichen Gewährleistung der Schutz- funktion der Gesetze. So genügte eben ein Telefon- anruf, um gleichen Tages mit Bewilligung Überzeit arbeiten zu lassen oder sogar, um die Genehmi- gung zu erhalten, das Frauennachtarbeitsverbot 52
	        

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