Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

wick und mit ihm sein Leipziger Kollege Charles Carter, ebenfalls aus den USA stammend, für das erste Semester eingeschrieben waren. Chadwick schied allerdings im selben Semester wieder aus.5 Rheinbergers eigene Aufzeichnungen datieren Chadwicks Weggehen auf Mitte Dezember 1879.6 Chadwick erlebte in München keine öffentlichen Aufführungen eigener Werke; es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass er während seines kurzen Aufenthaltes bedeutendere Werke komponiert hät- te; ein greifbarer Nutzen für seine Kompositions- technik aus seinem Studium in München ist des- halb kaum nachzuweisen. Tief beeindruckt jedoch scheint er von Rheinbergers Lehrmethode gewesen zu sein, denn in den folgenden Jahren schickte er viele amerikanische Studenten zu seinem früheren Lehrer nach München.7 So zog vor allem in den Jahren 1882 bis 1885, be- einflusst von Chadwick, eine besonders grosse An- zahl amerikanischer Studenten nach München, um bei Rheinberger zu studieren. Ein Brief vom 6. Juli 1882 zeigt, dass sich Chadwick persönlich um sei- ne Zöglinge kümmerte. Er schreibt an Rheinberger: «Geehrtester Herr Kapellmeister! Während der Sommer wird wahrscheinlich einen jungen Schüler und Freund von mir in München er- scheinen. Er heisst «Parker» und hat noch nicht 19 Jahre, und ich möchte für ihm Ihre werthe Inter- esse herzlich bitten. Er hat, wie ich glaube, ein ganz besonderes Compositions-Talent und brauch- te nur ein paar Jahre noch mit Ihnen zu studiren, um etwas Ausserordentliches zu leisten. Dieses Jahr hat er mit mir Harmonie und Contra- punkt sehr ßeissig studirt und auch etwas von der Formenlehre dabei, aber er soll Alles wiederholen und die ganze Geschichte von vorne anfangen. Auf Seite 14 aus Rheinbergers «Inspektionsbuch» 1879-86 
der Orgel kann er auch einige grossen Fugen von Bach spielen und hoffentlich wird es möglich sein Unterricht bei Ihnen zu haben. Er ist etwas hart- näckig und eingebildet, aber mit 19 Jahren kann man nichts anders erwarten. Darf ich vielleicht hoffen, dass Sie für ihn freundliches Interesse ha- ben wollen, als Sie schon für mich gezeigt haben? Es geht auch noch einen Bekannten von mir nach München, um mit Ihnen zu studiren, und ich habe mir die Freiheit genommen, ihm Empfehlungsbriefe an Ihnen zu geben. Sein Name ist «Parkhurst» und er hat schon Vieles mit Haupt8 in Berlin durchge- macht und soll sehr gut Orgel spielen. Ich muss Ihnen herzlich gratuliren auf Ihre wunderschöne B-dur-Trio, die ich sehr gerne dreimale gehört 5) Sechster Jahresbericht der Königlichen Musikschule in München 1879/80 (München: Wolf, 1880). Chadwick wird als Schüler Rhein- bergers in den Fächern Orgel und Kontrapunkt aufgeführt. 6) Das genaue Datum ist etwas problematisch. In Rheinbergers «In- spektionsbuch» für 1879-86, das im Josef Rheinberger-Archiv in Va- duz aufbewahrt wird, sind die ersten Seiten stark beschädigt oder fehlen ganz. Auf Seite 14 lautet die erste Zeile: «Chadwick ausgetre- ten». Das Datum dieser Eintragung fehlt, der nächste Eintrag ist je- doch vom Montag, 15. Dezember 1879. Da Rheinberger für jede Un- terrichtseinheit Eintragungen machte, bedeutet dies, dass Chad- wicks Austritt auf den Samstag, 13. Dezember 1879 zu datieren ist. Die Unterrichtsstunden, an denen Chadwick teilnahm, fanden jedoch jeweils montags, dienstags, donnerstags und freitags statt. Es wäre möglich, dass der Samstag aus irgend einem Grunde unterrichtsfrei gewesen ist, so dass der fragliche Eintrag vom Freitag, 12. Dezem- ber stammte, oder dass Chadwick an einem Tag, an dem er keinen Unterricht hatte, bei Rheinberger war, um sich zu verabschieden. - Noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass Chadwick einige weitere Monate in München blieb. Am 6. Mai 1880 dirigierte er eine Auffüh- rung seiner Rip-van-Winkle-Ouvertüre beim Festival der Händel- und Haydn-Gesellschaft in Boston, nachdem er - wie es scheint, den ganzen Winter überwiegend in München verbracht hatte. 7) Sydney Homer schrieb 1939: «Ich war 19 Jahre alt, als ich bei Mr. Chadwick zu studieren begann. Er wünschte, dass ich kommen- den September in Rheinbergers Klasse an der Königlichen Musik- schule in München eintreten sollte und legte mein Studium entspre- chend an.» (Sydney Homer «My Wife and I», New York: Macmillan, 1939, S. 33.) In der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staats- bibliothek gibt es einen Empfehlungsbrief von Chadwick an Rhein- berger für eine Frau Wilson aus Boston. Es handelt sich wahrschein- lich um Katharina Wilson, die im zweiten Quartal 1891/1892 in München ankam und bis zum Schuljahr 1893/194 blieb. 8) Haupt, Karl August (1810-1891), Berliner Organist, seit 1869 Di- rektor des Königlichen Instituts für Kirchenmusik, an dem er früher schon als Lehrer gewirkt hatte. 322
	        

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