Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

Für die Arbeit im Gastgewerbe galten gewisse Re- gelungen aus der Gewerbeordnung von 1915, die aber kaum wirksame Schutzbestimmungen für Ar- beitnehmerinnen enthielt. Beispielsweise legte die Gewerbeordnung nur für Betriebe mit über 10 Be- schäftigten die Arbeitszeit auf 11 Stunden fest. Für alle kleineren Betriebe bestanden keine konkreten Beschränkungen, sie hatten sich an die «orts- übliche Arbeitszeit» zu halten.58 Das Arbeiterschutzgesetz von 1937 brachte in die- ser Hinsicht wenige Verbesserungen für die im Gastgewerbe Beschäftigten. Dieses Gesetz legte die 48-Stunden-Woche fest und galt für alle Gewerbe- und Handelsbetriebe.59 Die Hauswirtschaft blieb ausgeklammert. Wie das Interview mit Ottilie Walser zeigt, sah die Realität aber auch im Gastgewerbe anders aus. Die Arbeit begann mit dem ersten Gast und endete mit dem letzten, so dass Arbeitstage von 7 bis 24 Uhr keine Seltenheit waren. Dies um so mehr, als - den vielen Ermahnungen der Regierung an die Ortsvor- stehungen nach zu schliessen - die Gasthäuser die Sperrstunde nur sehr large einhielten/'" Wenn keine Gäste zu bedienen waren, wurde Ottilie Wal- ser anderweitig beschäftigt, z.B. mit Strickarbeiten für ihren Arbeitgeber. Ab 1934 (Übernahme des schweizerischen Bundesgesetzes vom 26.9.1931 über die wöchentliche Ruhezeit) stand Serviertöch- tern in Liechtenstein gesetzlich ein Ruhetag pro Woche zu. Allerdings galten für das Gastgewerbe besondere Vorschriften, die z.B. während der Hochsaison halbtägige Ruhetage erlaubten. Auf die Hauswirtschaft fand dieses Gesetz keine Anwen- dung.61 Schon im Rechenschaftsbericht von 1932 hatte das Arbeitsamt empfohlen, die Ruhezeit im Gastgewerbe besser zu regeln, «so dass z.B. Ser- viertöchter und überhaupt Personal, das während eines Teiles der Nachtzeit regelmässig Dienst ma- chen muss, die entsprechende freie Zeit und zwar jede Woche bekommt»/'2 Eine Erhebung von 1937 über die Einhaltung des freien Tages für Serviertöchter zeigt aber, dass dem Gesetz häufig nicht Folge geleistet wurde/'3 Im Ge- gensatz zu dieser Einschätzung des Arbeitsamtes hiess es jedoch im Bericht, den die liechtensteini-sche 
Regierung im Juli 1937 an das BIGA schickte, dass «im Gasthof- und Wirtschaftsgewerbe die Durchführung der Ruhezeitvorschriften allgemein festgestellt» werden könne.64 In der Schweiz kam es auf die kantonalen Bestim- mungen an. In Zürich stand Ottilie Walser - dank dem Normalarbeitsvertrag von 1922 - ein freier Tag pro Woche zu, dessen Einhaltung die Frem- denpolizei kontrollierte. An ihrem Arbeitsplatz in Rigi hingegen, wo Ottilie Walser 1934/35 als Kin- dermädchen arbeitete, hatte sie während der Sai- son keinen freien Tag. In den in den Akten der Wirtschaftskammer erhaltenen Stellenbeschrei- bungen sagten die Arbeitgeberinnen öfters einen halben Tag Ausgang zu; in einem Fall vermerkte die Arbeitgeberin jedoch explizit, dass der freie Tag nicht gewährt werden könne.65 Einer Frau, die Ar- beit als Serviertochter suchte, beschrieb die Wirt- schaftskammer 1929 eine freie Stelle folgender- massen: «Sie müssten tagsüber meistens im Haus- halt helfen und am Abend nach Belieben im Re- staurant. Samstag und Sonntag würde der Dienst bis 12 Uhr abends dauern.»66 Hier zeigt sich ein weiterer bestimmender Aspekt des Arbeitsalltages von Serviertöchtern oder Dienstmädchen: die völ- lige Verfügbarkeit ihrer Arbeitskraft. Erholungszeit richtete sich - sofern überhaupt gewährt - nicht nach den psychischen und physischen Bedürfnis- sen der Arbeitnehmerin, sondern rein nach dem je- weiligen Arbeitsanfall. Arbeiterschutzbestimmungen - wie z.B. das Nacht- arbeitsverbot für Frauen - galten nur für die Indu- strie.67 Wichtige Neuerung im Arbeiterschutzgesetz von 1937 war die Ausdehnung des Kranken- und Un- fallversicherungsobligatoriums, das zuvor nur für Beschäftigte in Fabriken und einer Anzahl anderer unfallträchtiger Gewerbezweige galt, auf Dienst- verhältnisse, in denen Arbeitnehmerin und Dienst- geberin in Hausgemeinschaft lebten.68 Damit kamen erstmals Dienstmädchen und Ser- viertöchter in den Genuss einer gewissen sozialen Absicherung.69 Dies blieb in der Zwischenkriegszeit die einzige Schutzbestimmung, die das Hauspersonal ein- 28
	        

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