Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

HOFSTÄTTE R. 37 I ESCHEN: EIN NACHRUF PIO SCHURTI / ERICH ALLGÄUER / HA SJÖRG FROMMELT verändert. Der wirtschaftliche Aufschwung hat Platz gebraucht. Gewiss hat die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg dem Land in vieler Hinsicht Gutes gebracht. Der Wohlstand hat aber auch sei- nen Preis. Liechtenstein hat sich von sich selbst entfernt. Es ist nicht übertrieben, von Selbstent- fremdung zu sprechen. Eine Identität besteht unter anderem aus und durch Beziehungen. Wenn wir keine Bindung an Objekte wie Haus Nr. 37 ver- spüren, ist das ein Zeichen dafür, dass uns unsere Identität abhanden gekommen ist. Je mehr wir die Beziehung zu unserem Lebens-und Kulturraum einbüssen, umso schwächer wird unsere Identität. Das Land ist dabei, sich eine neue europäische Identität zu schaffen. Das muss sein. Eine Gemein- schaft muss sich immer neu definieren. Man be- kommt sein Selbstverständnis nicht einfach mitge- liefert. Es gehört zur kulturellen Leistung eines Landes, sich stets neu erschaffen zu können. Eine Gemeinschaft -genauso wie ein Mensch - kann aber Identitäten nicht einfach austauschen. Die Herkunft will integriert sein. Im Willen zur Kontinuität steckt viel Ehrlichkeit. Einern Men- schen, der persönliche Kehrtwenden macht, wird schnell misstraut. Ist es nicht ähnlich suspekt, wenn eine Gemeinschaft ihre Herkunft abschüttelt oder verdrängt? Der Liechtensteiner ist wohlhabend. Ab und zu gibt er damit an. Es ist ihm aber auch etwas peinlich, dass er noch vor gar nicht langer Zeit ein Bauer oder Fabrikler war, und ein armer noch dazu. Etwas zwanghaft versucht er nun, die bescheidene Herkunft zu überspielen. Nur so lässt sich erklären, dass viele Triesner, dar- unter auch solche, die einst in der Spoerry arbeite- ten, heute am liebsten «die alte Hütte» abreissen würden. So kann man vielleicht auch erklären, dass die Eschner das Haus r. 37 samt einem der letzten freistehenden Stickereihäuschen für immer verschwinden liessen. Das Anwesen hat bei den Älteren wohl nur Erinnerungen an ein einfaches Leben, an mühevolle, schlechtbezahlte Stickarbeit geweckt und bei den Jüngeren keine oder keine guten Assoziationen hervorgerufen. 295
	        

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