Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

DER 7 NOVEMBER 1918 RUPERT QUADERER-VOGT Wilhelm Beck - von Karl in abschätzig-liebevoller Weise «Robespierrli» geheissen - wurde von ihm als «ehrlich, eigentlich ganz nett, recht be- schränkt» bezeichnet. Martin Ritter wurde von Karl als «gescheit, ziem- lich zynisch» beurteilt. Am 17. Dezember schrieb er: «Dr. Ritter geistert hier herum, vielleicht lässt er sich in meiner Abwesenheit zum Caesar ausrufen, ich glaube aber nicht, mich bat er um eine Äpfel- ausfuhrbewilligung für seine Familie in Inns- bruck.» Prinz Franz meinte übrigens noch im August 1919103. «rjje ßeckianer wollen eine demokratische Monarchie oder behaupten es wenigstens, denn ihre Linke scheint mir das Aufgehen in die Schweiz anzustreben. Der böseste, Johann persönlich auf- sässig, ist Dr. Ritter, qui fait la navette zwischen Vaduz und Innsbruck.» Über die Fürstentreue der Unterländer berichtete Karl nach Wien, dass ihm ein Unterländer erklärt habe: «Wenn das Oberland den Advokaten nach- läuft, erklären wir uns als selbständiges Fürsten- tum Liechtenstein.»104 Die Forderung «Liechtenstein den Liechtenstei- nern» - von Karl als <Monroelidoktrin> verulkt - erachtete er als harmlos. Er schlug deshalb vor, diese Forderung zu erfüllen, bis die Liechtenstei- ner wegen der nach Karl unvermeidlich daraus er- wachsenden Schwierigkeiten vom Fürsten wieder einen Ausländer als Landesverweser fordern wür- den. Die sarkastische Seite Prinz Karls zeigte sich in seiner Bemerkung vom Januar 1919: «Der Mon- roelidoktrin zu Liebe werde ich dieser Tage einen Liechtensteiner als Küchenjungen nehmen, wel- cher zuletzt durch 4 Jahre als Freiwilliger bei der Marine gewesen ist als Koch auf einem Torpedo- bootzerstörer.» 
KRITISCHE EINORDNUNG Die Ereignisse vom 7. November 1918 wurden schon verschiedentlich einer kritischen Einord- nung unterzogen. War es eine Revolution, ein Staatsstreich, eine Usurpation, ein Putsch? War es ein Vorgang innerhalb oder ausserhalb der durch die Verfassung gegebenen Grenzen? War es ein markantes Ereignis mit Tiefenwirkung oder ein be- deutungsloses Spektakel? Am eindeutigsten ist die Frage nach der Verfas- sungsmässigkeit zu beantworten. Mehrere der vorgenommenen Handlungen waren nicht verfas- sungskonform. Bereits die Einberufung des Land- tags vom 7. November hätte der Zustimmung des Fürsten bedurft. In § 90 der Verfassung von 1862 heisst es: «Der Landesfürst allein hat das Recht, den ordentlichen sowohl als den ausserordent- lichen Landtag zu berufen...»; § 91 lautet: «Der Landesfürst wird die Zusammenkunft des Land- tages verordnen, so oft er solches ... nöthig er- achtet.» Der Landesverweser seinerseits hatte nicht das Recht, von sich aus das Amt niederzulegen und dem Landesfürsten eine Ersatzregierung zur Er- nennung vorzuschlagen. § 27 der Verfassung 1862 lautet: «Die in der Hand des Fürsten liegende Regierungsgewalt wird ... durch verantwortliche Staatsdiener ausgeübt werden, welche der Landes- fürst ernennt.» Aber auch die fürstlichen Abgeordneten über- schritten mit ihrem Entscheid der Amtsnieder- legung ihre Kompetenzen. § 55 der Verfassung 1862 bestimmt, dass drei der Landtagsmitglieder vom Fürsten ernannt werden. Ein Rücktritt hätte der Zustimmung durch den Fürsten bedurft. In ihrem Rücktrittsschreiben begründen die fürst- 102) Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechtenstein/Vaduz, Karton 489; die folgenden Briefauszüge sind dieser Briefsammlung entnommen. 103) Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechtenstein/Vaduz, Karton 334, 18. August 1919. Prinz Franz an Fürst Johann II. 104) Brief vom 12. Dezember 1918. 213
	        

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