Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

Martin Ritter war also, mindestens bei einigen Ho- noratioren in Liechtenstein und bei der fürstlichen Hofkanzlei in Wien, kein Unbekannter. Wilhelm Beck scheint mit ihm in Kontakt gestanden zu ha- ben. Auch Friedrich Walser berichtete, dass Ritter «im letzten Jahre» öfters nach Liechtenstein ge- kommen sei. Ritter habe im Gasthaus Walsers oft davon gesprochen, «was man im Lande anders machen könnte». Für den 7. November stand Ritter bereit, ein Amt zu übernehmen, das ihm von der «Hofkamarilla» bisher verweigert worden war.28 Kehren wir zurück zu den Ereignissen kurz vor der Landtagssitzung vom 7. November. Was war in den vier entscheidenden Tagen vom 4. bis 7. November geschehen? Dank eines Presseprozesses, der 1919 von Martin Ritter gegen den «Volksblatt»-Redak- teur Eugen Nipp angestrebt wurde, sind wir durch die gerichtlichen Zeugenaussagen recht detailliert über diese Vorgänge informiert.20 Danach war Ritter, der wohl als der Motor dieses Vorgehens gegen Imhof bezeichnet werden kann, in den ersten Novembertagen eigens von Innsbruck nach Vaduz gereist, um «ein Revolutiönchen zu machen», wie er sich gegenüber einem Rechtsan- walt in Feldkirch geäussert hatte. In Schaan nahm Ritter am 4. November Verbin- dung mit Friedrich Walser auf. Ritter erklärte Wal- ser, jetzt sei für die Liechtensteiner der Zeitpunkt da, die Regierung selbst in die Hand zu nehmen. Ritter behauptete gegenüber Walser, «die Partei des Dr. Beck» sei damit einverstanden, Baron Im- hof das Misstrauen auszusprechen und ihn zum Rücktritt zu bewegen. Walser - als Landtags-Vize- präsident und als einflussreiche, starke Persönlich- keit - stellte für Ritter das Medium dar, über wel- ches er auf die anderen Landtagsabgeordneten ein- wirken wollte. Am 5. November kam es in der Postkanzlei in Schaan zu einem Zusammentreffen Ritters mit Peter Büchel, dem Landtagsabgeordneten aus Mauren. Ritter versuchte Büchel davon zu überzeu- gen, dass in Liechtenstein «veraltete Verhältnisse» herrschten und in der Regierungsart Wandel ge- schaffen werden müsse. Büchel bemerkte jedoch zu Ritter, er sei «ein Bauer von langsamer Fas-sungskraft», 
er müsse sich das alles überlegen. Für einen «Putsch gegen den Landesfürsten», so Bü- chel, sei er aber auf keinen Fall zu haben. In einer zweiten Unterredung am Abend des glei- chen Tages (5. November) bemerkte Ritter gegen- über Büchel und Walser, Imhof habe bereits zuge- sagt, dass er zurücktreten werde. Imhof sei von Wilhelm Beck davon überzeugt worden, «es sei das beste, er trete zurück». Ritter hatte bereits im Ge- spräch am Nachmittag geäussert, «wenn die Abge- ordneten nicht mitmachen wollten, werde man sie in der Landtagssitzung vom Donnerstag (7. Novem- ber) vor eine vollendete Tatsache stellen». Ritter wusste also bereits von der bevorstehenden Sit- zung des Landtags, obwohl noch keine amtliche Einladung an die Landtagsmitglieder erfolgt war. Am 5. November wurde auch Wilhelm Beck von Ritter und Walser zu einem Gespräch «in den Kirchthaler» (Vaduzerhof) nach Vaduz eingeladen. Dort wurde Beck - nach seiner Aussage war er sehr erstaunt darüber - der Plan einer Regierungs- änderung unterbreitet. Mit Franz Josef Marxer aus Eschen, seit 1906 Landtagsabgeordneter, hatten Walser und Ritter ebenfalls Kontakt aufgenommen. Marxer verhielt sich aber wie Peter Büchel ablehnend gegenüber den vorgebrachten Ideen. Am 6. November sprachen Wilhelm Beck, Fried- rich Walser und Albert Schädler, Landtagspräsi- dent seit 1890, im Regierungsgebäude in Vaduz bei Landesverweser Imhof vor. Dieser erklärte zu- nächst, er sei bereit, die Landräte (Regierungsräte) zur Regierungsarbeit beizuziehen. Beck bemerkte, dazu sei es nun zu spät, das Volk verlange mehr, Liechtenstein müsse von Inländern regiert werden. Imhof äusserte daraufhin, «wenn man ihm persön- lich kein Misstrauen entgegenbrächte und keine Vorwürfe mache, so wäre es für ihn keine Schande abzudanken, denn den Wunsche der Liechtenstei- ner, dass Liechtensteiner auch die Regierung führ- ten, finde er berechtigt». Beck, Schädler und Walser beschlossen anschlies- send, auf den folgenden Tag eine Landtagssitzung 196
	        

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