Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1995) (93)

DAS HAUS BAYERN - ZEHN JAHRHUNDERTE WITTELSBACHISCHE GESCHICHTE / VOLKER PRESS zielte auf ein engeres Zusammengehen mit Preus- sen. Maximilians Sohn und Nachfolger Ludwig IL (1864-1886) war auf die kritische Situation, die heraufzog, wenig vorbereitet - eine unglückliche Erziehung hatte den weichen und verträumten Prinzen in eine Scheinwelt getrieben; der gutausse- hende, intelligente und charmante König wurde mit grosser Begeisterung begrüsst, aber Ludwig war auf seine Aufgabe nur unvollständig hingeleitet worden - eine Situation, die durch ein übersteiger- tes Herrschergefühl noch zugespitzt wurde. Natür- lich war die Selbständigkeit Bayerns auch sein poli- tisches Ziel; aber ihm gelang keine Vermittlung zwischen Österreich und Preussen, wie sie der wie- derberufene Pfordten anstrebte. So geriet Bayern in die österreichische Niederlage von 1866; es kam dabei noch glimpflich davon, erlitt nur geringe Ge- bietsverluste, musste aber in einen Bündnisvertrag mit Preussen eintreten. Ludwig II. war verärgert, opponierte aber nicht und berief sogar 1866 den Fürsten Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst zum leitenden Minister, einen Exponenten des Zu- sammengehens mit Preussen. Innenpolitisch setzte der König die Linie seines Vaters mit einem libera- len Grundzug fort bis hin zu Hohenlohes Opposi- tion gegen die Dekrete des zweiten Vaticanums. Dadurch entstanden Spannungen mit der katho- lisch-konservativen Kammermehrheit, die 1869 zum Wahlsieg der «Patriotenpartei» führten. Lud- wig erkannte allerdings nicht deren Übereinstim- mung mit den eigenen politischen Vorstellungen. Loyal erfüllte Bayern 1870 seine Bündnispflicht ge- gen Frankreich, wohl auch bewegt von der Überle- gung, die Ministerpräsident Otto Graf Bray-Stein- burg formulierte, auf diese Weise die eigene Selb- ständigkeit am besten wahren zu können. König Ludwigs Träume von einem Alternieren der Kaiser- würde zwischen Preussen und Bayern erfüllten sich ebensowenig wie jene von Gebietsgewinnen im Elsass, ja, Bismarck konnte Ludwig sogar zum Kaiserbrief vom 30. November 1870 bewegen, der König Wilhelm I. von Preussen zur Übernahme der erblichen deutschen Kaiserwürde drängte; schon am 23. November 1870 hatte der Versailler Vertrag 
den Beitritt auch Bayerns zum kleindeutschen Reich festgelegt, wobei ihm einige Sonderrechte zugestanden wurden. Der Führer der bayerischen Patrioten-Partei, Edmund Jörg, quittierte dies mit den Worten: «Finis Bavariae». Ludwig bereute die- se Entscheidung stets und suchte sich danach im- mer wieder für den Föderalismus einzusetzen; an- dererseits hielt er weiterhin an seinen liberalen Mi- nistern gegenüber der Kammermehrheit der Pa- triotenpartei fest. Sein starker Kultusminister und Ministerpräsident Johann von Lutz leitete in Bay- ern den Kulturkampf mit der katholischen Kirche ein. Allerdings dürfte der Anteil des Königs an der Politik immer schwächer geworden sein - immer mehr führte ihn seine Menschenscheu in die Isola- tion, in die Einsamkeit seiner Schlösser und Jagd- hütten. Sogar für seine Minister wurde er schwer erreichbar, als er sich Ende der 1870er Jahre weit- gehend aus der Politik zurückzog und Lutz mit dem Kabinettssekretariat die Geschäfte besorgte. Des Königs Begeisterung für Richard Wagner führ- te zu einer überaus grosszügigen Förderung; doch dessen Einmischung in die Politik löste eine erste und seine Beziehung zu Cosima von Bülow seine zweite Entfernung aus München aus. Dennoch hat Ludwig IL den Komponisten und sein Werk weiter- hin selbstlos unterstützt; sogar am Bau des Bay- reuther Festspielhauses beteiligte er sich. Unter dem Eindruck von Paris, Versailles und der Wart- burg bei Eisenach ergriff 1867 die traditionelle Bauleidenschaft seines Hauses auch Ludwig II. Sei- ne historisierenden Bauten bilden ein phantasti- sches Ensemble, das bis heute die Menschen faszi- niert hat. Dahinter stand auch die Verehrung sei- nes Namenvetters Ludwig XIV. von Frankreich, in dem er die Verkörperung des monarchischen Ge- dankens sah, den er auch in einem immer demo- kratischer werdenden Zeitalter emporhielt. Eine mittelalterlich-absolutistische Scheinwelt entstand, die den König der Realität des ausgehenden 19. Jahrhunderts entrückte, allerdings auch Kunst und Kunsthandwerk Bayerns wesentliche Impulse gab. Die Entfernung von der Wirklichkeit betraf nicht nur die Politik, sondern auch die Familie, deutlich 179
	        

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