Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

VERWALTUNGSSTRUKTUR UND VERWALTUNGSREFORMEN GESETZGEBUNG / PAUL VOGT z.B. erst auf den 1. Januar 1860 in Liechtenstein in Kraft gesetzt.12 Die neuen Gesetze waren in verschiedener Hinsicht Ausdruck der Auflösung der ständischen Rechts- vorstellungen: Die Beseitigung der althergebrach- ten lokalen Rechte stellte eine Parallele zu den Be- mühungen in Österreich dar, die Rechtsunter- schiede zwischen den Ländern zu beseitigen und eine Rechtsvereinheitlichung und Rechtsgleichheit zu erreichen. Die neuen Rechtsvorstellungen ziel- ten auf eine grundsätzliche Veränderung der Ei- gentumsverhältnisse und damit der gesamten So- zialordnung ab. Die Dienstinstruktion von 1808 schrieb vor, dass alle Gemeinheiten ins Privateigen- tum aufgeteilt und grundbücherlich den Häusern zugeschrieben werden mussten.13 Die Konkursord- nung, die Erbfolgeordnung und die Grundbuchs- ordnung von 1809 strebten im Kern alle eine Siche- rung des Privateigentums an. In der Einleitung der Erbfolgeordnung heisst es beispielsweise, der Landsbrauch habe «jenen Erwartungen nicht mehr zu entsprechen vermöge(n), die Wir Uns von einem das Privateigentum des Untertans rechtlich schüt- zenden Fundamentalgesetze versprachen.» Die Vorstellung der Hofkanzlei, die Bindungen der al- ten Sozialordnung zu lösen, kam auch sehr deut- lich in der Verordnung über die Aufhebung der Leibeigenschaft vom 19. November 180814 und in der Verordnung betreffend die Einführung der all- gemeinen Freizügigkeit und die Abschaffung der Gemeindeeinkaufstaxen vom 22. Juni 181015 zum Ausdruck. Die in den österreichischen Gesetzesko- difikationen festgelegten Rechtsnormen brachten in zahlreichen Bestimmungen die Auflösung stän- discher Normen und der alten Lebensgemeinschaf- ten zum Ausdruck.16 Für das Fürstentum Liechten- stein war dabei von besonderer Bedeutung, dass nach dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch die Ehe lediglich einen bürgerlichen Vertrag dar- stellte, der auch wieder aufgelöst werden konnte. Die Versuche des Oberamtes, die neuen Rechtsvor- stellungen in die Praxis umzusetzen, stellten eine der Hauptursachen für den Konflikt zwischen der Obrigkeit und den Untertanen dar. Die Einführung 
der Grundbücher führte 1809 zu Unruhen,17 die Be- seitigung der Grundbücher wurde auch 1831 noch verlangt.18 Die Aufteilung der Gemeinheiten wurde vom Oberamt immer wieder befohlen, doch wur- den die oberamtlichen Befehle nur teilweise und nur nach grossen Widerständen befolgt. Die Frei- zügigkeit wurde von den Untertanen so heftig be- kämpft, dass das Oberamt in diesem Bereich nicht einmal Teilerfolge erzielen konnte. Mit dem jose- phinischen Eherecht schliesslich geriet das Ober- amt in eine heftige Konfrontation mit der Kirche, was Fürst Alois II. schliesslich dazu bewog, nicht mehr auf den betreffenden Bestimmungen des all- gemeinen bürgerlichen Gesetzbuches zu beharren. DIE «POLITISCHE» GESETZGEBUNG Wie bereits erwähnt, konnte das Staats- und Ver- waltungsrecht in Österreich nicht in einer einheit- lichen Kodifikation erfasst werden, da die einzel- nen Länder ihre Selbständigkeit zu behaupten suchten. Für das Fürstentum sollten zwar auch in der «politischen Gesetzgebung» die österreichi- schen Grundsätze übernommen werden, doch Hes- sen sich hier die österreichischen Gesetze nicht einfach kopieren. 6) Dienstinstruktion von 1808, Art. 1. LLA RB Gl. 7) Entwurf im LLA RB Fasz. G 1. 8) In der Maur, Rezeption, S. 760. 9) ebda. S. 759. 10) Menzinger an Fürst am 6. November 1835. LLA RC 49/39. 11) HK an OA am 25. November 1835. LIA RC 49/39. 12) Geiger, S. 220. 13) Dienstinstruktion von 1808, Art. 3 und 4. 14) Gedruckt bei Alois Ospelt, Anhang S. 71. 15) ebda. S. 54. 16) Otto Brunner, Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Öster- reich, S. 67 ff. 17) Malin, S. 129 ff. 18) David Rheinberger, Notizen aus der Zeit unserer Voreltern. FamARh. 95
	        

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