Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

Die Gesetzgebung Wenn man von der zeitlichen Reihenfolge auf den sachlichen Vorrang der Reformen schliessen will, so stellte eine Anpassung der Justizgesetze an den «Geist des Zeitalters»1 nach der Vermehrung der Staatseinnahmen die dringlichste Aufgabe dar. Die Notwendigkeit dieser Reform leiteten die Beamten der Hofkanzlei nicht aus der konkreten Situation im Fürstentum ab - der Landsbrauch war ihnen kaum dem Namen nach bekannt - sondern aus ih- rem Bestreben, überall eine «Gleichförmigkeit» zu erzielen. Bei einer Darstellung der Reformen in der Gesetz- gebung ist grundsätzlich von der Situation in Öster- reich auszugehen: Seit Joseph II. wurden in Öster- reich die Gesetze und Verordnungen in zwei grossen Sammlungen, der «politischen Gesetzes- sammlung» und der «Gesetzessammlung im Justiz- fache» publiziert. Die «politische Gesetzessamm- lung» umfasste das sich immer mehr entfaltende Verwaltungsrecht, die «judizielle Gesetzessamm- lung» das Zivil- und Strafrecht. Im Unterschied zu Preussen, wo das Allgemeine Landrecht eine um- fassende Kodifikation des gesamten Zivil-, Straf- und Staatsrechts anstrebte, gelangte man in Öster- reich nur zur Kodifikation des Zivil- und Strafrech- tes. Der Versuch, das «politische» Recht zu kodifi- zieren, scheiterte «ausser an der Schwierigkeit, die sehr vielgestaltige und ständig Veränderungen un- terliegende Materie des Verwaltungsrechts syste- matisch zu erfassen, an der Verschiedenheit der Landesverfassungen, an der komplizierten Struk- tur der Monarchie.»2 Die Einteilung in eine judizi- elle und eine politische Gesetzgebung und die da- mit verbundene Problematik findet sich auch in der liechtensteinischen Gesetzgebung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder. DIE JUSTIZGESETZGEBUNG Im 18. Jahrhundert sollten die fürstlichen Beamten der gesunden Vernunft gemäss und nach dem alt- hergebrachten lokalen Gewohnheitsrecht Recht sprechen. Das Reichsrecht bildete nach dem Grundsatz «Landrecht bricht Reichsrecht» lediglich 
subsidiäres Recht. Im Familienrecht war weitge- hend das kanonische Recht gültig.3 Im letzten Vier- tel des 18. Jahrhunderts schlugen zwar auch die Landvögte in Vaduz - wohl unter dem Einfluss der josephinischen Reformen in Österreich - eine ver- mehrte schriftliche Festlegung des geltenden Rechts vor,4 doch reagierte die fürstliche Hofkanz- lei auf diese Vorschläge nicht. Bei seiner Lokalisierung im Sommer 1808 erkun- digte sich Hofrat Hauer auch nach den im Fürsten- tum gültigen Gesetzesnormen. Nach seinen Fest- stellungen bestanden lediglich der Landsbrauch, dessen letzte Änderung über 200 Jahre alt sei, die Polizeiordnung von 1732 und die peinliche Ord- nung von Karl V. in Kriminalsachen.5 Die Dienstin- struktion von 1808 hob den Landsbrauch und «derley hergebrachte Gewohnheiten» auf und be- auftragte den Landvogt mit der Ausarbeitung einer «den Zeitumständen und Verhältnissen des Landes anpassende Jurisdiktionsnorma»: Schuppler sollte ein neues bürgerliches Gesetz, ein Straf- und Poli- zeigesetz, eine Gerichtsordnung, eine Grundbuchs- ordnung, eine Verlassenschafts- und Erbfolgeord- nung und eine Dienstbotenordnung ausarbeiten. Die Hofkanzlei beauftragte damit den Landvogt, für all jene Bereiche gesetzliche Regelungen auszufor- mulieren, in denen in Österreich seit Joseph II. Ge- setze und Kodifikationen bereits ausgearbeitet wa- ren oder noch in Ausarbeitung standen. Dass die 1) Dienstinstruktion von 1808, Artikel 1. LLA RB Gl. 2) Brunner Otto, Staat und Gesellschaft im vormärzlichen Öster- reich, S. 63. 3) Über die Rechtsquellen heisst es in der Dienstinstruktion von 1719: «Übrigens so hat Unser Landesfürstliches Oberamth in Stritti- gen Rechts Sachen allerfordorst auf die in Unserm Fürstentumb bis- her observirte der gesunden Vernunft, und denen Rechten gomesse gutte Gewohnheitten undt Landsbräuche, zu sehen, in abmangl de- ren aber nach dennen allgemeynen Reichs Rechten und Constitutio- nen, wie sie in Corpore Juris Civilis & Canonici, und denne Neuer Reichsabschid enthalten zu sprechen.» Dienstinstruktion von 1719, Caput I, § 12. LLA. 4) Beschreibung des Fürstentums Liechtenstein aus dem Jahre 1784. LLA Kopie o. S. 5) Bericht Hauers über das Fürstentum aus dem Jahre 1808. Bei- lage 4. Punkt 11. In: JBL 19S3. 92
	        

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