Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

DIE STAATLICHE FINANZNOT Das Fürstentum Liechtenstein war trotz der Erhö- hung der direkten Steuern und der Gebühren sowie der Einführung der Salzsteuer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts finanziell nicht lebensfähig. Die steuerlichen Belastungen waren zwar nicht grösser als in Österreich, doch war das Fürstentum wirtschaftlich dermassen rückständig, dass es die- se Lasten kaum tragen konnte. Die schlimmsten Notjahre waren die unmittelbaren Nachkriegsjahre und die Jahre 1816 bis 1818, als im Lande eine un- beschreibliche Hungersnot bestand: In den 1810er Jahren schrieb Landvogt Schuppler wiederholt an die Hofkanzlei, dass die postulierte Steuer unmög- lich eingetrieben werden könne. 1814 beschrieb er die Situation im Fürstentum folgendermassen: «Gerade itzt wandeln die Menschen wie kaum noch lebende Leichname daher, mit Sehnsucht harren sie dem Tage entgegen, an welchem sie ihre Win- tergerste schneiden und ausklopfen können, um ih- ren Heishunger zu stillen, und kaum wird die Blü- the vom Erdapfelkraute abgefallen seyn, als sie schon die noch unreife Frucht verzehren und mit Anfang des Winters kaum mehr etwas haben wer- den, denn das Türkenkorn wird heuer, wenn nicht im Spätsommer und Herbst besonders günstiges Wetter eintrift, nicht reif. Von diesen eine Steuer einzubringen, ist dem Amte und Rentamte nicht möglich . . . »39 Der Staatsbankrott konnte wiederholt nur dadurch verhindert werden, dass der Fürst die Kosten für die Gesandtschaft, für das Kontingent und die Be- soldung der Beamten vorschoss: Noch bevor die Rückzahlung der Kriegsvorschüsse von 1799 bis 1805 überhaupt in Angriff genommen werden konnte,40 musste der Fürst in den Jahren 1813 bis 1817 erneut beträchtliche Darlehen gewähren, da- mit das Fürstentum seinen Pflichten als Mitglied des Rheinbundes und des deutschen Bundes nach- kommen konnte.41 Weitere Darlehen gewährte der Fürst 1836, als ein Kontingent ausgerüstet werden musste42 und beim Rheineinbruch 1846.43 Wie gross die Vorschüsse des Fürsten an die Staats- kasse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins-gesamt 
waren, lässt sich auf Grund der rentamt- lichen Rechnungsbücher in Vaduz nicht ermitteln. Das Ausmass dieser Vorschüsse lässt sich aber dar- an ermessen, dass in allen Steuerpostulaten von 1818 bis 1846 (mit Ausnahme der Jahre 1833 bis 1835) grössere Beiträge für die Rückzahlung dieser Vorschüsse enthalten waren.44 Im Jahre 1850 schuldete das Land dem Fürsten noch insgesamt 38 860 Gulden,45 in den 1850er Jahren erhielt es weitere Vorschüsse von 19 511 Gulden.46 Die äusserst angespannte Finanzlage stellte für das Land einen steten Zwang zum Sparen dar. Die Steuerpostulate, die in gewisser Weise eine Staats- rechnung bilden, enthalten nur wenige Ausgaben für Aufgaben der «inneren» Landesverwaltung. Die Gesandtschaftskosten, die Beamtenbesoldung, die Rückzahlung der fürstlichen Vorschüsse sowie die Kosten für das Appellationsgericht in Innsbruck als dritter Gerichtsinstanz für das Fürstentum mach- ten von 1818 bis 1836 jährlich etwa 6000 Gulden aus, dazu kamen noch wenige Plündert Gulden für Kanzleikosten, Postspesen und ähnliches. Als 1836 Liechtenstein ein Kontingent aufzustellen hatte, stiegen die jährlichen Staatsausgaben auf etwa 10 000 bis 11000 Gulden an. Für Investitionen in die Infrastruktur war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kein Geld vorhanden, in diesem Bereich wurde der Staat erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tätig.47 Als eine Verbesserung der Infrastruktur ist auch der Ausbau und der Un- terhalt der Strassen anzusehen, doch wurden diese Arbeiten teils als Fronarbeiten von den Untertanen geleistet, teils waren dafür Wegarbeiter angestellt, die aus den fürstlichen Renten bzw. den Weggeld- einnahmen bezahlt wurden. Soweit der Staat Bei- träge an das Schul- und Armenwesen entrichtete, stammten diese Gelder aus den entsprechenden Fonds. 39) Schuppicr an HK am 5. Juli 1814. LLA KB Fasz. B 2. 40) In einer Stouerversammlung von 1809 anerkannten die beiden Landschaften eine Schuld von 27 890 Gulden gegenüber der Herr- schaft und erklärten, sowohl mit dem Vermögen eines jeden Unterta- nen als auch des ganzen Landes für die Rückzahlung zu haften. Pro- tokoll der Steuerversammlung vom 24. 3. 1809, LLA RB Fasz. S 5. 90
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.