Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

VERWALTUNGSSTRUKTUR UND VERWALTUNGSREFORMEN BEAMTENVERHÄLTNIS / PAUL VOGT Die Standesunterschiede kamen aber nicht nur in der Selbsteinschätzung der Beamten zum Aus- druck, sondern auch in ihrem höheren Lebensstan- dard und in ihrem Lebensstil. Die liechtensteini- schen Bauern waren bis weit ins 19. Jahrhundert hinein weitgehend Selbstversorger. Ihre Hauptnah- rungsmittel waren Mais und Kartoffeln, Fleisch konnten sie sich nur selten leisten. Die Beamten hingegen Hessen sich Fleisch, Roggenbrot und an- dere Waren regelmässig aus Feldkirch kommen.27 Sie gingen auch gern zur Jagd28 und kauften über- dies beinahe alles Wild, das der herrschaftliche Jä- ger schoss.29 Sofern die Beamten in Vaduz verhei- ratet waren und eine Familie zu ernähren hatten, trieben sie zwar auch Landwirtschaft, doch Hessen sie die notwendigen Arbeiten durch Dienstleute verrichten.30 Die Unterschiede zum Lebensstil der Bauern zeigten sich auch darin, dass die Beamten eine standesgemässe Wohnung beanspruchten und ihre Söhne oft in Feldkirch das Gymnasium be- suchten.31 Für die fürstlichen Herrschaftsbeamten war eine Versetzung nach Vaduz mit einigen Nachteilen ver- bunden. Moritz Menzinger schreibt in seinen Jugenderinnerungen, dass die fürstlichen Herr- schaftsbeamten «das weit entlegene Land als eine Art Exil»32 ansahen. In der Regel war eine Verset- zung nach Vaduz mit einer Beförderung verbun- den, was die Abneigung gegen die Versetzung ver- mindern sollte. Schon wenige Jahre nach ihrer Ver- setzung nach Vaduz schrieben die meisten Beam- ten ein erstes Gesuch, in dem sie um ihre Rückver- setzung auf eine fürstliche Herrschaft baten. In mancher Beziehung beispielhaft ist der Fall von Landvogt Schuppler. Er war 1808 Justitiär und Rentmeister auf der Herrschaft Landskron. Seine Versetzung nach Vaduz bedeutete für ihn die Beför- derung zum Herrschaftsvorsteher. Trotzdem lehnte er, wie er in seinem Versetzungsgesuch von 1826 schrieb, diese Berufung zunächst ab. Er stimmte ihr erst zu, als er das Versprechen erhielt, nach der Reorganisation der Landesverwaltung wieder auf eine Herrschaft zurückversetzt zu werden.33 Er schrieb mehrere Versetzungsgesuche, erhielt je-doch 
zwischen 1812 und 1818 viermal die Antwort, dass der Fürst volles Vertrauen in ihn habe und mit ihm zufrieden sei. Weiter wurde ihm jeweils versi- chert, dass er zur Beförderung vorgemerkt sei. 1826 schrieb er dann in einem Versetzungsgesuch, dass er sich jahrelang vergebens «nach der glück- lichen Stunde» seiner Erlösung gesehnt habe und dass er nun «eine Übersetzung auf eine mährische Gebirgsherrschaft für eine Beförderung»34 aner- 20) ebda. S. 89. 21) David Rheinberger, Notizen aus der Zeit unserer Voreltern. FamArh. 22) Moritz Menzinger, Die Menzinger im Fürstentum Liechtenstein, S. 40. 23) Johann Rheinberger, Politisches Tagebuch. JBL 1958, S. 237. 24) OA an Fürst am 1. Juli 1836. LLA RC 52/8. 25) Gustav Alfons Matt, Der Trümmelihans von Balzers. LLA Samm- lung Matt. 26) Schuppler, Beschreibung des Fürstenthums Liechtenstein, JBL 1975, S. 244. 27) Einige Aufschlüsse in dieser Beziehung gibt ein Artikel zum Tod von Hermann Kessler im Liechtensteiner Volkswirt vom 6. 12. 1927. Darin heisst es, dass die Bauernfamilie die Leinwand selbst machte und Türkenbrot ass. Die Beamtenfamilio Kessler hingegen liess sich jeden Samstag Roggenbrot und andere Dinge aus Feldkirch bringen. Die Beamten sollen auch die Gurken als neues Gemüse und den Weihnachtsbaum als neuen Brauch in Liechtenstein eingeführt ha- ben. 28) David Rheinberger, Notizen aus der Zeit unserer Voreltern. FamArh. 29) Wildbretausweis vom 30. 1. 1846, LLA RC 87/16. 30) Menzinger schrieb 1840, dass die Beamten ihren Bedarf an Erd- äpfeln, Türken und Viehfütter selbst anpflanzen mussten. Es sei schwer, von den einheimischen Bauern Milch zu erhalten. Menzin- ger an Fürst am 10. August 1840. LLA RC 69/16. 31) Für die Söhne der fürstlichen Beamten bestand eine Ausnahme- bewilligung zum Besuch des Gymnasiums in Feldkirch. Seit 1834 wurden die fürstlichen Beamten in der Frage des Schulbesuchs in Feldkirch nicht mehr so behandelt, als ob sie sich im Ausland befän- den. HK an OA am 18. Juli 1834. LLA RC 37/7. Für liechtensteini- sche Staatsangehörige bestanden hohe Gebühren für den Besuch des Gymnasiums in Feldkirch, deshalb besuchten die Liechtensteiner meistens die Gymnasien in der Schweiz. Menzinger an Fürst, 24. 6. 1834. LLA RC 37/7. 32) Moritz Menzinger, Die Menzinger in Liechtenstein, S. 36. 33) Versetzungsgesuch Schupplers vom 25. April 1826. LLA RB Fasz. B 3. 34) ebda. 75
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.