Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

drei Liechtensteiner Neumann-Kirchen ausserhalb der gewachsenen Siedlungen an landschaftlich do- minanten Stellen. «War eine solche Forderung beim Kirchenbau, der ja seit alters her zur Monumentalarchitektur zähl- te, nicht neu, so trat nun insofern eine Änderung ein, als der Sinn für die alte Typologie des Kirchen- baues verlorengegangen war. Ehedem hat sich eine Pfarrkirche von einer Kathedrale nicht nur durch die Grösse, sondern auch durch ein anderes archi- tektonisches Konzept unterschieden und so den je- weiligen Anforderungen Rechnung tragen können. Nun traten solche Überlegungen in den Hinter- grund. Der Fassungsraum, eine gute Verbindung zwischen Priester und Gemeinde, die Überschau- barkeit des Raumes, Forderungen, die zum Teil schon aus der Gegenreformation erwachsen wa- ren, spielten die Hauptrolle. Daneben wollte man aber auch aus dem historischen Kirchenbau Mittel zur Monumentalisierung übernehmen, wobei es nicht störte, wenn die Elemente nun an ganz ande- ren Bautypen auftauchten, etwa der Umgangschor bei einer schlichten Pfarrkirche. Da solche Motive im 19. Jahrhundert meist ihre ursprüngliche Be- deutung eingebüsst hatten und keinem praktischen Bedürfnis mehr entsprachen, erscheinen sie oft nur noch als Mittel zur Gliederung des Baues, haben also rein künstlerische Funktion.»87 «Im katholischen Kirchenbau des strengen Histo- rismus dominieren mittelalterliche Stilformen, wo- bei man im grossen gesehen eine Aufeinanderfolge neugotischer und neuromanischer Formen beob- achten kann. Zunächst ist es die Neugotik, die <als Spitzbogenstib für den Kirchenbau besonders ge- schätzt wurde.» Es «vollzieht sich dann eine Wand- lung vom neugotischen zum neuromanischen Stil, somit ein Ablauf, der die historische Stilfolge um- kehrt. Dies ist aus einer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immanenten Stiltendenz zu er- klären, die von stärker aufgegliederten Bauten zu geschlosseneren, kubischeren Blöcken fortschrei- tet. Die Neuromanik steht bereits in enger Ver- schränkung mit den Leistungen der Secession, die ebenfalls für den Bau grosse Blockhaftigkeit der 
Massen anstrebt. Mit diesem Stilwandel geht eine Wandlung der bevorzugten Raumform einher. Die Phase der basilikalen Kathedrale, die sich um die Jahrhundertmitte ansetzen lässt und einen locke- ren, aufgeschlossenen Detailreichtum liebt, wird von einer Periode abgelöst, welche der Raumver- einheitlichung, dem Staffel- und Hallenbau ein grösseres Gewicht beimisst und weniger, dafür grössere und schwerere Detailformen anwendet; später gewinnt der basilikale Raum, nun in roma- nischen Formen, wieder mehr Bedeutung, doch strebt man durch Verbreiterung des Mittelschiffes und Reduktion der Abseiten einen einheitlichen Mittelraum an.»88 Dem stark vereinheitlichten In- nenraum entspricht meist ein sehr differenziert aufgegliederter Aussenbau. Auch im Späthistorismus, der eigentlichen Arbeits- phase Gustav von Neumanns, herrschten bei ka- tholischen Kirchen mittelalterliche Formen vor, die sich «an die vom strengen Historismus geschaffe- nen Voraussetzungen anschlössen. Die entschei- dende Ausgangsposition bot das Werk Friedrich von Schmidts, der sowohl durch seine einflussrei- che Tätigkeit auf dem Gebiet des gotischen Kir- chenbaues wie auch durch seine grosse Schüler- zahl zu einer unbedingten Autorität geworden war.»89 «Diese Kirchen des Späthistorismus (ge- meint sind hier die Brüder Neumann, Luntz und andere Schmidt-Schüler, Anm. d. Verf.) unterschei- den sich von jenen des strengen Historismus durch das Zunehmen stereometrisch wirksamer, plasti- scher Formen, deren Anregungen von der Roma- nik in einer Variationsbreite übernommen werden, die von archäologischer Treue bis zur völlig freien Weiterbildung reicht. Die kristallinische Klarheit und Sprödigkeit, welche etwa für die Bauten Fried- rich von Schmidts kennzeichnend waren, machen ganz allgemein einer Formerweichung Platz, die eine amorphe Substanz entstehen lässt, die sich der zähflüssig sich verändernden biomorphen Ma- terie nähert, welche den Grundstoff für die Form- bildungen des Jugendstiles darzustellen scheint. Die stark differenzierte, reich aufgegliederte Aus- senerscheinung umschliesst meist einen Innen- raum, der in verschiedenartiger Weise traditionelle 322
	        

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