Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1994) (92)

fast universale Tendenz in der Architektur war, brauche ich nicht zu betonen.»39 In seinem Vortrag von 1963 erwähnt Pevsner auch Möglichkeiten und Aspekte des Historismus-. «Hi- storismus ist die Haltung, in der die Betrachtung und die Benutzung der Geschichte wesentlicher ist als die Entdeckung und Entwicklung neuer Sy- steme oder neuer Formen der eigenen Zeit.»40 Evers stellt eine wesentlich kürzere These auf: «Hi- storismus ist eine Form, die wiederholt, was es als Form schon einmal gegeben hat».41 Ähnlich wie bei Stilbegriffen wie Gotik und Roma- nik finden sich in der Literatur kaum kurzgefasste prägnante Definitionen zum Begriff Historismus, sondern eher nur «wann, wo und in welchen For- men» der betreffende Stil zum Ausdruck kam. Auch ist der Historismus nur bedingt mit den soge- nannten Baustilen vergleichbar. «Das 19. Jahrhundert <hat> nicht mehr einfach ei- nen <Stil>, <seinen> Stil, sondern es muss ihn su- chen», wie Adolf Max Vogt in der Belser Stilge- schichte schreibt.42 «Warum hat das Jahrhundert keinen eigenen Stil hervorgebracht? Soll man einfach auf die Kultur- situation zurückgehen und es auf diese Weise, also geistesgeschichtlich, erklären? Soll man darauf zu- rückgehen, dass schon seit Herder eine Leiden- schaft für die Erforschung und für das Verständnis der Geschichte herrschte? Oder soll man darauf zu- rückgehen, dass im Zusammenhang mit der Ent- wicklung der Forschung und mit der zunehmenden Arbeitsteilung mehr und mehr von der Geschichte bekannt wurde, bis die Versuchung zur Nach- ahmung am Ende zu gross wurde? Soll man sozio- logisch darauf eingehen, dass der Bruch zwischen Künstler und Gesellschaft in der Romantik statt- fand und die mangelnde Harmonie von Künstler und Gesellschaft sich architektonisch in einer stili- stischen Spaltung ausdrückt?»43 Wenngleich es kaum möglich ist, den Historismus in wenigen Sätzen von seinen Ursprüngen herzu- leiten, soll im folgenden versucht werden, zum bes- seren Verständnis einige seiner Wurzeln in den vorangegangenen Epochen freizulegen. Um bei Vogts Beitrag in der Belser Stilgeschichte zu blei-ben: 
«Die Kenntnis der Baugeschichte und der For- mengeschichte ist ab 1750, spätestens ab 1800, derartig intensiv und exakt, dass nun die Versu- chung an die Generation herantritt, diese Kenntnis in die Tat umzusetzen, d.h. Geschichte selber zu bauen. Zuerst ist es England, das nicht nur klas- sisch), sondern auch <gotisch> zu bauen beginnt, und bald nach 1800 beginnt der Architekt sogar seiner Bauherrschaft die Stile zur Wahl vorzule- gen.»44 Die Anwendung aller Stile geht auf Fischer von Er- lach zurück, der in der «Historischen Architektur» (1721) schreibt, dass die «Goüts des nations so ver- schieden in der Architektur sind, wie in der Blen- dung oder wie im Geschmack im Essen und Trin- ken.» Man soll also Stile vergleichen, damit man auf Grund des Vergleichs eine vernünftige Auswahl treffen kann. Während im Klassizismus der antike Formenkanon noch als objektiv geltende Grundlage diente, ver- liess der später darauf folgende Historismus diese zugunsten eines Stilpluralismus und einer eklekti- schen Stilvermischung. In dieser Entwicklung liegt das «Wesen» des Historismus im Sinne der Archi- tekturgeschichte. Ein wichtiger Wegbereiter war Jean Nicolas Louis Durand (1760 bis 1834), ein Schüler der beiden be- deutenden Revolutionsarchitekten von Boullee und Ledoux. «Er war Professor an der neugegründeten <Ecole polytechnique> von Paris und hatte die Gabe der pädagogisch wirksamen, vereinfachenden Ra- tionalisierung alles dessen, was ihm an hohen und pathetischen Ideen von seinen Lehrern übermittelt worden war. Durand hat aus den grossen, uner- reichbaren Ideen der Revolutionsarchitektur eine Art Baukasten-Theorie gemacht, mit der man die Variationen eines Themas durchspielen und die ökonomisch günstigste Variante auswählen kann. Diese Umwandlung von Utopie in kombinatorische Ökonomie ist eine spezifische Leistung Durands, und mit ihr hat er eine kontinentale Wirkung be- gründet, die bis gegen 1850 lebendig blieb.»45 In seinem Werk «Precis des lecons donnees ä l'eco- le royale polytechnique» (Paris, 1823) schreibt Du- 310
	        

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