Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (90)

Feuchtigkeit angezogen, so dass die Konturen wie von einem dunklen Schatten umzogen wirken. Am oberen und unteren Rand befindet sich jeweils eine Stange, oben als Hängevorrichtung, unten zum Be- schweren der leichten Leinwand. Vermutlich lagen die Tücher mit der oberen Stange auf den Kämp- fern der Seitenaltäre, besser gesagt auf dem Gebälk des Hochaltares auf. Ihr Erhaltungszustand ist ordentlich, die Leinwand kaum beschädigt, und die Farben leuchten weitge- hend in ihrer originalen Frische. Die Tücher wur- den wohl auch ausserhalb ihres Verwendungszeit- raumes hängend aufbewahrt, denn die Malerei weist nur zu einem geringen Teil jene bekannten Risse und Abplatzungen auf, wie sie für jene, in Öl gemalten Fastentücher typisch sind, die zum Zweck der platzsparenden Aufbewahrung ausserhalb der Passionszeit aufgerollt wurden. Tücher dieses For- mats konnten entweder in einem Sakristeischrank oder, was manchmal zu beobachten ist, direkt hin- ter dem Altarretabel aufbewahrt werden. 
FASTENTUCH DES HOCHALTARES Ikonographisch das interessanteste der drei neuen Fastentücher ist jenes mit der Darstellung eines Vesperbildes (Pietä), welches ursprünglich für den Hochaltar verwendet wurde. Vor dem unteren Teil des Kreuzstammes sitzt die Gottesmutter, in ein rotes Untergewand und einen blauen Mantel geklei- det. Ihr Haupt, das sich unmittelbar vor dem Stamm befindet, ist von einem Nimbus mit feinen Strahlen hinterfangen. Auf ihrem Schoss hält sie den toten Christus; er ist nur mit einem Schurz bekleidet und besitzt ebenfalls einen Nimbus, des- sen feine Strahlen aber ein Kreuz erkennen lassen. Sein Oberkörper ist frontal dem Betrachter zuge- kehrt, sein rechter Arm hängt schlaff herab, wäh- rend der linke über seinem Schoss angewinkelt liegt. Die Beine knicken in den Knien nach unten und verlassen so die Diagonale des Körpers. Damit wird erreicht, dass die Gestalt Christi die Kontur der sitzenden Maria nur mit dem Haupt durch- bricht. Links und rechts des Kreuzstammes schweben ge- flügelte Engelsköpfe vor fleckig gemalten Wolken. Zu Füssen Christi liegen Attribute seines Leidens (Arma Christi), die INRl-Tafel, die Dornenkrone sowie drei Nägel. Der Inhalt des Vesperbildes muss ausserhalb der historischen, neutestamentlichen Leidensgeschich- te gesucht werden, er liegt in einer Verbindung von Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung; seit dem Mittelalter ist das Vesperbild eines der verbrei- tetsten Andachtsbilder. Den Charakter eines An- dachtsbildes unterstreicht die hier vorgenommene und der barocken Frömmigkeit entstammende Ver- bindung mit der lukanischen Weissagung: «[A]ber auch dir selbst wird ein Schwert durch die Seele dringen» (Lk. 2,35). Die von Simeon ausgesproche- ne Leidensankündigung wird bildlich durch ein Schwert ausgedrückt, das Mariens Brust von oben her durchdringt. Zahlreiche Gnaden- und An- dachtsbilder folgen diesem Typ, so auch eine Reihe von Fastentüchern.7 Die Leidenswerkzeuge zu Füs- sen Christi sind im Sinne der Arma Christi ebenfalls als Elemente der Andachtsikonographie zu verste- 372
	        

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