PROJEKTE ZUR GRÜNDUNG EINER HOCHSCHULE IM FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN / GRAHAM MARTIN FRÜHE VORAUSSETZUNGEN: DAS PALATINATSDIPLOM DER FÜRSTEN VON LIECHTENSTEIN Die Idee der Gründung einer Hochschule oder einer ähnlichen Bildungseinrichtung im Fürstentum Liechtenstein erregt seit einigen Jahrzehnten die Gemüter.1 Als ein auslösendes Moment kann man bereits die Verleihung eines Palatinatsdiploms an die Urahnen der jetzigen Herrscher von Liechtenstein betrach- ten. Das erste bekannte Diplom wurde im Jahre 1633 von Kaiser Ferdinand II. an den Fürsten Gun- daker von Liechtenstein verliehen. Als der Urenkel Ferdinands, Kaiser Karl VI., 1719 aus der Graf- schaft Vaduz und der Herrschaft Schellenberg am oberen Rhein das Reichsfürstentum Liechtenstein gründete, bestätigte er die im ersten Palatinatsdi- plom enthaltenen Privilegien in einem neuen Di- plom (bzw. Pfalzgrafenbrief) und übertrug sie dabei an den neuen Landesfürsten, Anton Florian von Liechtenstein. Unter den vielen erwähnten Privile- gien, die an die Nachfolger der Fürsten Gundaker und Anton Florian übergingen, ist die Verleihung akademischer Grade zu nennen. Karl von In der Maur bringt den vollen Wortlaut dieser ausführli- chen Urkunde im Anhang zu seinem Beitrag über die Gründung des Fürstentums Liechtenstein im er- sten Band des Historischen Jahrbuchs,2 und wir geben jetzt den Wortlaut der betreffenden Stelle wieder: Weiter geben Wir Ihro unsere Kayl. vollkommene macht und gewaldt, daß Sie in allen Facultäten, als der heyligen Schrift, oder Rechten und Arznei docto- res und Licentiaten, auch der freien Künste Magi- stros,
Baccalaureos und Poetas laureatos creieren und machen solle und möge, doch daß dieselbe in Jeder creation Eines Doctors oder Licentiaten zum wenigsten drey andere Doctores derselben Facultät zu Ihme nehmen und gebrauchen, die denjenigen, den Sie also zu Doctoren und Licentiaten creiren und machen wollen, zuvor gebührlicher weise, ob Er des Stands und gradts würdig, dar zu geschickt erkhennen und erfunden werden, examiniren, auch alsdann nach genugsamben Befund und erkantnus
seiner Geschicklichkeit zu Doctoren oder Licentia- ten
creiren und machen, sodann Ihnen den creirten die gewöhnliche Doctorliche Zier und Kleinodt an unserer statt und in unserem nahmen conferiren, geben und verleyhen sollen und mögen, welche Doctores, licentiati, Magistri,
Baccalaurei und Poe- ten wer Ihro also creirt und gemacht werden, auf allen und Jeden Universitäten zu lehren, zu lesen, zu disputiren, zu consultiren, und andere derglei- chen actos zu üben und zu verrichten macht und gewaldt, auch alle und Jegliche gnad, Freyheit, Recht, gerechtigkeit und gutgewohnheit haben sol- len und mögen, als anderen Doctores, licentiaten, Magistri,
Baccalaurien und Poeten, so auf der her- nach benannten Universitäten Einer, als nemblich zu Paris, Bononien, Padua, Perusa, Pisa, Loeven, Wienn, Ingolstadt, Praag, Leibzig, Württenberg, Würzburg, Marburg, Basel und Straßburg und an- deren dergleichen Universitäten zu Doctoren, Li- centiaten, Magistern,
Baccalaurien und Poeten pro- moviert,
creirt und gemacht worden, üben, verrich- ten, haben, genießen von Recht oder gewohnheit, von allermänniglichen unverhindert.3 Es ist allerdings nicht überliefert, dass die Fürsten von Liechtenstein von solchen Kompetenzen, wur- den sie auch so eingehend dargestellt, je Gebrauch machten. Der Leiterin des Hausarchivs der Regie- 1) Dieser Beitrag ist die erweiterte Fassung eines Kurzvorträgs über das Thema «Eine Hochschule in Liechtenstein: Eine kurze Geschichte der Gründungsprojekte», welchen der Verfasser auf Einladung des Rektors der Internationalen Akademie für Philosophie in Schaan, Prof. Dr. Josef Seifert, im Rahmen des 2. Hochschultags der Akademie am 11. November 1989 in Gamprin hielt. Der Text des Vortrags wurde unter dem Titel «Die Anfange einer akademischen Ausbildung in Liechtenstein» im Liechtensteiner Vaterland am 19. und 20. Dezem- ber 1989 sowie - unter verschiedenen Titeln - im Liechtensteiner Volksblatt am 4., 5. und 10. Januar 1990 veröffentlicht. Das Thema wurde auch im Buch des Verfassers. «Das ßildungswesen des Für- stentums Liechtenstein» (Zürich und Frankfurt, 1984), S. 186-192, kurz behandelt. 2) JBL 1 (19011, S. 63-80. 3) Ebenda, S. 68 f. (N.B. Mit «Bononien» ist wohl Bologna gemeint, mit «Württenberg» wahrscheinlich Wittenberg.) 303