Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

LIECHTENSTEINER ÄRZTE DES 19. JAHRHUNDERTS RUDOLF RHEINBERGER schuss wählten.447 Mit diesem Dreierkollegium hatte sich das Volk eine starke und kompetente Führungsspitze gegeben: Peter Kaiser, nicht nur als Theoretiker des Liberalismus, sondern auch als erfahrener Praktiker, Dr. Ludwig Grass, der als Arzt das ganze Vertrauen der Bevölkerung besass, und Dr. Karl Schädler, der als junger Arzt schon im ganzen Lande bekannt, sich in den nächsten Mona- ten und Jahren als der geborene Politiker erweisen sollte. Diese drei Männer verfügten über die Autori- tät, welcher es bedurfte, um revolutionäre Aus- schreitungen zu verhindern. Die Drei berieten und unterzeichneten jeweils die Adressen an den Für- sten, in denen Peter Kaiser die Wünsche des Volkes präzise formulierte. Erstaunlich rasch ging der Fürst auf wesentliche Wünsche der Volksausschüsse ein, vor allem auf das Verlangen nach einer konstitutionellen Verfas- sung. Am 2. Mai 1848 ordnete er die Wahl eines fünfköpfigen Verfassungsrates an, welcher zusam- men mit dem Landesverweser einen Verfassungs- entwurf ausarbeiten sollte.448 In Ausführung dieser Fürstlichen Anordnung wurde ein Wahlmänner- gremium bestellt, in das jede Gemeinde zwei Abge- ordnete zu stellen hatte. Die Gemeinde Schaan erkor dafür zusammen mit dem Tierarzt Christoph Wanger als zweite Persönlichkeit Dr. Ludwig Grass. Dr. Grass teilte der Gemeinde Schaan aber umge- hend mit, dass er diese Aufgabe unmöglich über- nehmen könne.449 Offenbar fühlte er sich nicht mehr imstande, neben der grossen ärztlichen Pra- xis eine so zeitraubende Aufgabe zu übernehmen. Trotzdem zog ihn dann der Verfassungsrat als beratendes Mitglied bei.450 Jedoch nahm er an der Verfassungsarbeit dann nicht aktiv teil, liess er sich doch bei den meisten Sitzungen des Verfassungsra- tes entschuldigen.451 Am 20. Mai 1849 wurde die erste konstitutionelle Volksvertretung Liechtensteins, der Landrat ge- wählt. Unter den 24 Gewählten befand sich mit einer hohen Stimmenzahl an neunter Stelle Ludwig Grass. Dass das Vertrauen in ihn gross war, zeigt, dass er dann vom Gesamtlandrat auch in den «engeren Landrat» von 13 Abgeordneten gewählt wurde und ihn dieses Gremium schliesslich in den 
fünfköpfigen Ausschuss des Landrates bestellte.452 Das war die Anerkennung für den politisch fort- schrittlichen und liberal denkenden Arzt in seinem sechzigsten Lebensjahr. Im Landrat konnte Grass wie die übrigen Abgeordneten nur während der ersten Sitzungsperiode 1849/50 tätig sein. Es war dies eine äusserst fruchtbare Session, in der gute Arbeit geleistet wurde.453 Doch danach wurde der Landrat wegen der sich durchsetzenden Reaktion im Deutschen Bund nicht mehr einberufen.454 Damit war für Grass die Teilnahme am parlamenta- rischen Geschehen zu Ende. Zwischen den beiden Ärzten Dr. Ludwig Grass und Dr. Karl Schädler herrschte nicht nur ein ungetrüb- tes kollegiales Verhältnis, sondern es verband die beiden eine echte Freundschaft. Es kommt dies 440) J. P. Rheinberger an Pokorny, 1. August 1834, FamARh F2. 441) Menzinger an Hofkanzlei, 1. Oktober 1838, LLA RC 61/7. 442) Gemeint ist Landschaftsarzt Gebhard Schädler. Landvogt Mi- chael Menzinger spielt hier auf das landesweit bekannte soziale und caritative Engagement von Dr. Grass an, der sogar armen Kranken in der Gemeinde öfters auch Speisen aus der Taverne zum «Adler» zukommen liess. (Joh. Georg Marxer. Die fürstliche Taverne, JbL 30. S. 75). 443) Brief vom 2. März 1844, FamARh F 23. 444) Über Wendelin Hasler siehe S. 108. 444a) Eine Zeitlang scheint Dr. Grass dann aber einen gewissen Dr. Felder eingestellt zu haben. Über ihn ist weiter nichts bekannt, als dass er später nach Amerika auswanderte (Briefe von Alois Rhein- berger aus Nauvoo, Illinois, vom 2. Juni 1858. FamARh Ha 14). 445) z.B. Weisungen des Fürsten an Menzinger, 6. April 1848, Hofkanzlei 1863/10370(1848, 4354). 446) Grass war allen Kindern Michael Menzingers Taufpate. JbL 27, J. B. Büchel, Geschichte der Pfarrei Schaan. 447) Geiger, S. 59. 448) Schädler-Akten 278, Erlass vom 2. Mai 1848. Geiger, S. 94 ff. 449) LLA RC 100/4 7. und 9. Juni 1848. 450) Geiger, S. 59. 451) Protokolle des Verfassungsrates, LLA Schädler-Akten 287-292. 452) LLA Schädler-Akten 318, Geiger, S. 162, Anm. 20 und 22. 453) Geiger, S. 16 ff, siehe auch oben S. 62 ff. 454) Geiger. S. 178. 87
	        

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