Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

LIECHTENSTEINER ÄRZTE DES 19. JAHRHUNDERTS RUDOLF RHEINBERGER Kabinett ein. Landratspräsident Karl Schädler hatte in dieser Frage am 19. März 1850 ein Schreiben302 an den Fürsten gesandt. Darin richtete er im Namen des Landrates die dringende Bitte an den Landesfürsten, dahin zu wirken, dass Österreich bis zu einer Zolleinigung Deutschlands die freie Ein- fuhr liechtensteinischer Erzeugnisse gestatte. Eine Benachteiligung Österreichs würde dadurch nicht erwachsen, da Liechtenstein auf österreichische Erzeugnisse keinen Einfuhrzoll lege und mehr aus Österreich beziehe, als es dorthin absetzen könne. Schädler verweist dann noch auf den «lebhaften Schmuggel, der hauptsächlich für Rechnung von Vorarlberger Kaufleuten betrieben» würde.303 Die Verhandlungen mit Österreich nahmen aber zu- nächst einen schleppenden Verlauf. Preussen hatte Ende 1851 den Zollverein gekün- digt. Nun suchten sowohl Österreich als auch Preussen die Mittelstaaten für eine neue Zollunion zu gewinnen und plötzlich wurden auch die kleinen Staaten umworben. So sah Österreich, dass einem für Liechtenstein günstigen Vertrag geradezu Mo- dellcharakter für weitere Vertragsabschlüsse zu- kommen könnte. Das Beispiel Liechtensteins sollte zeigen, dass Österreich bereit war, seinen potentiel- len Vertragspartnern grosszügig entgegenzukom- men. «Der liechtensteinische (Zoll)anschluss sollte einen Beweis für die Zollunionsfähigkeit Öster- reichs, ein Schaustück erfolgreicher österreichi- scher Zollpolitik und ein Beispiel für die übrigen deutschen Staaten bilden».304 Der österreichisch-liechtensteinische Zoll- und Steu- ereinigungsvertrag wurde am 5. Juni 1852 in Wien abgeschlossen. So wie die Verhandlungen darüber in völliger Geheimhaltung - auch der Regierung in Vaduz gegenüber - geführt wurden, so gelangte der Vertragsabschluss ebensowenig zur Kenntnis des Landrates und seines Präsidenten Karl Schädler. Der Fürst befand sich in einem Zwiespalt: einerseits sollte der Zollvertrag aus taktischen Gründen erst mit seinem Inkrafttreten am 1. August 1852 be- kanntgemacht werden, andererseits war aber der Fürst noch an die provisorischen Verfassungsartikel gebunden, wonach der Vertrag dem Landrat hätte vorgelegt werden müssen.305 Er setzte sich über die 
Bedenken zugunsten der Geheimhaltung hinweg. Der Reaktionserlass vom 20. Juli sowie das Inkraft- treten des Zollanschlusses Hessen aber die Tatsache, dass der Fürst hier verfassungswidrig gehandelt hatte, in den Hintergrund treten. Der Anschluss an einen grossen Wirtschaftsraum brachte Liechtenstein wesentliche Vorteile. Unmit- telbar hatte er eine bedeutende Vermehrung der staatlichen Geldmittel zur Folge, mittelbar förderte er aber auch die Industrialisierung des Landes. Der Fürst hatte trotz des Reaktionserlasses den gewählten Landrat als eine Art beratendes Gremi- um fortbestehen lassen, allerdings, ohne es in den folgenden Jahren je zu konsultieren. Nicht einmal der Stände-Landtag wurde mehr einberufen, da man wegen des guten Ertrages aus dem Zollvertrag in den ersten Jahren nach dessen Abschluss auf die Steuern verzichten zu können glaubte, und man somit den Landtag zur «dankbaren Annahme» der Steuerpostulate gar nicht brauchte. Unter der Bevölkerung wuchs aber die Unzufrie- denheit, blieben doch die wichtigsten Probleme, die der Lösung harrten, einfach liegen. Sämtliche Vorsteher richteten daher im August 1856 ein Schreiben306 an den Fürsten, in dem sie diesen baten, den Landrat wieder in Funktion treten zu lassen, damit die Regierung zusammen 293) Geiger, S. 171. 294) LLA RC 100/4, Begleitschreiben vom 19. März 1850. 295) Geiger, S. 173 ff, Anm. 74, LLA, Schädler-Akten 300/330/331. 296) Geiger, S. 177. 297) Geiger, S. 178, Anm. 91. 298) Geiger, S. 181, Anm. 110. 299) Geiger, S. 216 ff. 300) siehe oben S. 58. 301) Geiger, S. 188, A. Ospelt, S. 37. 302) Geiger, S. 190, LLA Schädler-Akten 333, 19. 3. 1850. 303) ebda. Schädler A„ Regesten, JbL 7, S. 165/166. 304) Geiger, S. 194, Siehe auch A. Ospelt, S. 368. 305) Geiger, S. 202/203. 306) Promemoria der Richter, 30. August 1856, LLA RC 100/4, Geiger, S. 222. 65
	        

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