Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1991) (89)

tenbestellungen in die Überlegungen miteinbezo- gen. Weil das Majorzsystem bei Wahlen die tatsäch- lichen Kräfteverhältnisse verzerrte, sah sich die Minderheit als Bürger zweiter Klasse. Der Parteien- streit vergiftete das öffentliche Leben. Die Pres- sefehden rutschten manchmal ins Unanständige ab. Die Innenpolitik drohte sich in einer blossen Streit- und Zeitgenossenschaft zu erschöpfen. Abhilfe tat Not. Nach der Besetzung Österreichs am 11. März 1938 durch die Truppen Deutschlands war ein Kräfteverschleiss in parteipolitischen Querelen im Land selbst nicht zu verantworten, zumal die Schweiz von Liechtenstein zu dieser Zeit eine klare und von breiter Zustimmung getragene politische Standortbestimmung erwartete. Dann obsiegte Ein- sicht. Das Protokoll vom 21. März 1938 regelte in Liechtenstein die Zusammenarbeit der beiden Par- teien und leitete die Einführung des Verhältniswahl- rechts in die Wege. In der Tat wertete kein geringe- rer als der damalige Regierungschef Dr. Josef Hoop die innenpolitische Befriedung als ein hervorragen- des Ereignis: «Dieser Friede hat Liechtenstein ge- rettet.» FAMILIE ALS ZELLE STAATLICHER GEMEINSCHAFT Am 7. März 1943 kam es in Vaduz zu einem Ereignis, das im Kontrast zum Kriegsgeschehen stand. Der Bischof von Chur, Dr. Christianus Cami- nada, traute in der Pfarrkirche St. Florin Vaduz den Fürsten Franz Josef II. mit Gräfin Gina von Wilczek (1921-1989). Papst Pius XII., Monarchen und Staatsoberhäupter wünschten dem Brautpaar Glück. In der Vorstellung des liechtensteinischen Volkes entwickelte sich die Ehe der beiden Persön- lichkeiten zu einem Idealbild menschlicher Er- gänzung in einem Lebensbund. Fürstin Gina, spon- tan, offen, kontaktfreudig, herzlich, einfallsreich und gewandt, fand im ernsten, zurückhaltenden, schweigsamen, weisen und introvertierten Fürsten ein menschliches Gegenbild, das wie Schloss und Schlüssel zusammenpasste. Die Verbindung der beiden wurde zum Symbol einer familiären Staats-gemeinschaft. 
Der Staat hatte einen Landesvater und eine Landesmutter erhalten. So scheute sich in der Folge kein Vereinspräsident, Vorsteher, Re- gierungsmitglied oder Abgeordneter, in Begrüs- sungsansprachen von der «Landesmutter» oder vom «Landesvater» zu reden. Die integrierende Kraft glaubwürdiger Repräsentanz wirkte nachhal- tig auf die liechtensteinische Öffentlichkeit und weit über die Grenzen hinaus, ohne die quasselnde Nachhilfe geschwätziger Gazetten. Menschliche Werte und Grundsätze im Verbund mit Herkom- men, Geschichte und Adel sprachen beinahe ver- schüttete Bereiche im Einzelnen wie in der Gesell- schaft an. Leben und Wirken der beiden Menschen auf der politischen Ebene sind ein Hinweis darauf, dass Politik, äusserst komplex, nicht nur der Ratio, sondern auch der Seele bedarf; dass Liebe eben Zuneigung schafft. Bei der grossen Übereinstim- mung war es nicht verwunderlich, dass nach dem Tod der Fürstin am 18. Oktober 1989 auch der Lebenswille des Fürsten gebrochen war. «Ich könn- te mir meine Tätigkeit als Fürst gar nicht denken ohne meine Frau», sagte er 1981. Die fürstliche Familie hatte fünf Kinder. Den Familienbegriff dehnte der Fürst in Gesprächen auf die kleine staatliche Gemeinschaft aus: «Man fühlt sich hier inmitten einer grossen Familie.» Als der Fürst als erster seines Hauses zu Beginn des Zweiten Welt- krieges seinen ständigen Wohnsitz auf Schloss Vaduz nahm, hatte die physische Präsenz des Landesvaters inmitten seiner Bürgerfamilie zei- chenhafte Wirkung. Und so erwuchs dem Staats- oberhaupt fast organisch der Titel des Landesvaters und Volksfürsten. Gewiss eine alte und konservative Gemeinschaftsstruktur! War sie falsch? In unserem Fall war sie echt und deshalb richtig. INDIVIDUUM UND GESELLSCHAFT Mit der Familienformel als Inbegriff der staatlichen Einrichtungen ist natürlich die gesellschaftspoliti- sche Vorstellung des Fürsten nicht hinreichend umrissen. Der Fürst äusserte sich öfters grundsätz- lich zur Problematik. In seinen Thronreden vor dem 12
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.