Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

EIN VENEZIANISCHER RIPPENBECHER HANSJÖRG FROMMELT folgt unterhalb der Lippe ein Golddekor. Dieses be- steht aus horizontal umlaufenden Linien unter- schiedlicher Breite, welche grösstenteils vom Wachsdeckel verdeckt werden. An den heute sicht- baren Stellen des Glases fehlt das aufgelegte Blatt- gold. Unter dem Deckel scheint es teilweise noch erhalten zu sein. (vgl. Abb. 3) Glasmasse, Form, Email- und Golddekor weisen auf die venezianische Herkunft des Bechers hin. Das aus Emailpunkten gebildete Ornament ist in verschiede- nen Variationen auf Schalen, Pokalen und Flaschen zu beobachten. Auf Rippenbechern bilden Email- und Golddekor eher die Ausnahme, wobei festgehal- ten werden muss, dass solche Becher aus dem aus- gehenden 15. Jahrhundert nicht mehr in grossen Mengen unversehrt erhalten sind.'' DAS ALTARRELIQUIAR Altarreliquiare sind Gefässe, welche anlässlich von Kirchweihen in den Sepulcren7 der Altäre deponiert werden. Sie nehmen Heiligenreliquien und in der Regel auch die Weiheurkunde auf, werden ver- schlossen und mit dem Siegel des die Weihe vollzie- henden Bischofs versehen. Das auf diese Weise im Altar eingemauerte Reliquiar überdauerte im Schut- ze des Sepulcrums, den Blicken des Betrachters völ- lig entzogen und im Laufe der Zeit vergessen, unver- sehrt oft mehrere Jahrhunderte. Nur diesem Um- stand ist es zu verdanken, dass eine grosse Zahl mittelalterlicher Glasbecher ohne grössere Beschä- digungen erhalten geblieben ist. Durch ihre Funktion und ihre Nähe zu den Reliquien der Heiligen müssen die Gefässe selbst Reliquien- charakter erhalten haben. Oft wurden sie bei neuen Altarweihen zusammen mit neuen Reliquiaren wie- der im Altar beigesetzt.8 Auf diese Weise entstande- ne «Ensembles» von Altarreliquiaren können wich- tige Hinweise auf die Kultur- und Pfarreigeschichte einer Gemeinde geben. Als Beispiel sei hier auf die Altarreliquiare aus der Kirche St. Lorenz bei Paspels in Graubünden hingewiesen.9 Im Bistum Chur werden, soweit dies heute bekannt ist, ab dem 14. Jahrhundert erstmals Glasbecher als 
Reliquienbehälter verwendet.1" Dem ausgehenden 15. Jahrhundert und hauptsächlich dem 16. Jahr- hundert entstammen die meisten Glasreliquiare des Bistums." Das Reliquienglas im Liechtensteinischen Landes- museum ist durch einen Wachsdeckel verschlossen. Die Fingerabdrücke verdeutlichen, wie die dunkel- 6) Weitere Rippenbecher sind im Ausstellungskatalog «Mille Anni Di Arte Del Vetro a Venezia», Venedig 1982. abgebildet: Nr. 83 auf Seite 89 und Nr. 85 auf Seite 90. Vergleiche auch: Tait, H., Venezianisches Glas, Die bibliophilen Ta- schenbücher, Nr. 301, Dortmund 1982, Abbildung 1, Seite 23. Das Pflanzenmotiv auf diesem mit Kreuzrippen dekorierten Becher kommt jenem des Glases im Liechtensteinischen Landesmuseum sehr nahe. 7) SEPULCRUM = Aussparung im Altar, welche der Aufnahme von Reliquien dient. Nach der Altarweihe wird dieses Reliquiendepot verschlossen und in der Regel mit dem gesamten Altarblock verputzt. Lexikon für Theologie und Kirche, Dritter Band, Freiburg 1959, Sei- te 37. 8) In seiner «Geschichte der alten St. Florins-Kapelle und der neuen Pfarrkirche zu Vaduz» beschreibt Kaplan Joh. F. Fetz, wie die alten Reliquien feierlich von der alten Florinskapelle in die neue Pfarrkirche transferiert werden: «Am 4. Oktober nach dem Gottesdienste wurden die 3 Altäre der alten Kapelle durch einen bischöflichen Delegierten exekriert, d.h. ihrer Weihe - nach beinahe 271 Jahren - entkleidet, indem die Altartische erbrochen und die Reliquien der Heiligen aus ihren kleinen Gräbern herausgenommen werden mussten. Die Gräb- chen waren unter den Altarsteinen, die hl. Reliquien in 3 Gläsern in Form von Trinkgläsern, mit vielen Glasknöpfen geziert, aufbewahrt, welche mit Wachsdecken, in- und auswendig das Siegel des Fürstbi- schofs Johann V. F'lugi von Aspermont zeigend, verschlossen waren, dessen Gepräge und Umschriften noch vollständig erhalten sind . . .» «Um 8 Uhr bewegte sich eine feierliche Prozession mit den hl. Reli- quien unter majestätischem Geläute und Böllerknall aus der alten Kapelle in die neue Kirche durch das grosse Portal, wo sofort die «Kirchweihe» nach kirchlicher Vorschrift und Zeremonien vollzogen wurde.» aus: Fetz, Joh. F., Geschichte der alten St. Florins-Kapelle und der neuen Pfarrkirche zu Vaduz, Unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1882. Ruggell 1984, Seite 318. 9) Volbach, W. F., Silber-, Zinn- und Holzgegenstände aus der Kirche St. Lorenz bei Paspels, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Band 23,1963/1964, Seiten 75 ff. 10| Als frühes Beispiel sei das Reliquienglas aus der katholischen Pfarrkirche St. Luzius und Florin in Walenstadt erwähnt. Weihe zwischen 1298 und 1321. Grüninger, L, Die restaurierte katholische Kirche Walenstadt, Mels 1975. Abbildung und Beschreibung auf Seite 38. 11) Vergleiche auch Frommelt, Hj., Ein spätgotisches Reliquienglas aus der Pfarrkirche in Morschach. in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz, 1986, Seite 244. 247
	        

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