Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

DER KOMPONIST ALS LEXIKOGRAPH HANS STRICKER / HERBERT HILBE gänglich; da hängt eben vieles von der subjektiven Bewertung ab, und jeder weiss, welch unerschöpfli- che Quelle freundnachbarlicher Neckereien die mundartlichen Unterschiede allenthalben zu bilden pflegen. In dieser Hinsicht haben sich in den letzten Jahren die Verhältnisse allerdings radikal gewan- delt. Im Zeichen einer bisher ungekannten allgemei- nen Bevölkerungsmobilität und eines unablässig wirkenden Einflusses der elektronischen Massen- medien wird es übrigens zunehmend schwieriger, mit dem alten Modell von 'innovativem Zentrum' und 'konservativem Randgebiet' die modernen Ent- wicklungen noch adäquat zu erfassen. Die lokalen Mundartunterschiede haben sich zu verwischen be- gonnen, weil auch die traditionelle Geschlossenheit unserer Dörfer und damit das dörfliche Gruppenbe- wusstsein anscheinend ihrer Auflösung entgegenge- hen und auch geographische Randlage nicht mehr Garant sein kann für die unangefochtene Erhaltung der gewachsenen Formen. Ich habe im Rahmen dieser kleinen Untersuchung darauf verzichtet, auch das Sprachverhalten der heutigen jungen Generation in Vergleich zu setzen mit Rheinbergers Wortliste. Ohne jeden Zweifel würde eine entsprechende Gegenüberstellung ein Ausmass an jüngsten Veränderungen zutage för- dern, das alles bisher Gewohnte in den Schatten stellen müsste. Der Kulturwandel, der unsere Gegenwart prägt, zieht uns alle in seinen Sog. Er lässt den Blick zurück in die Welt unserer Eltern in immer kürzeren Etap- pen zur Entdeckungsfahrt in eine terra incognita werden. Lebens- und Denkformen, in die noch die ältere heutige Generation natürlich hineingewach- sen war, sind für unsere Jugend nur mehr ferne Geschichte. Wer noch an jener bäuerlichen Welt teilhatte, wird auch schon den Verlust schlichter Werte gespürt haben, die bei aller Hochschätzung der modernen Annehmlichkeiten und eines unvergleichlich weite- ren individuellen Spielraumes uns doch viel gemüt- haften Rückhalt boten - einen Rückhalt, der jener Lebensweise wohl nicht nur in der Sicht der Zurück- schauenden in besonderem Masse eigen war und der unseren Heimatbegriff mitprägt. Heute, da die 
«Ausebnungsverluste» immer bedrohlicher werden, behelfen wir uns mit Museen, mit hektischem kul- turgeschichtlichem Sammeln, mit Restaurieren und Deuten. Dies ist allein zwar noch keine Zukunftsbe- wältigung, sicher aber doch kulturelle Notwendig- keit und legitimes Bedürfnis, der eigenen Wurzeln nicht verlustig zu gehen; es ist ein Zeichen der Hochachtung, die wir der Welt unseres Herkom- mens zollen. So gesehen, erweitert sich der Lebenslauf eines Jo- seph Rheinberger ins Gleichnishafte. Durch sein frü- hes Exil erlebte er Heimatverlust in einer Epoche, da wenigstens die Daheimgebliebenen noch fest in der Geborgenheit ihres Herkommens verankert waren. Was uns heute in gewisser Weise insgesamt wider- fährt, das widerfuhr auch schon Joseph Rheinberger (und den vielen Liechtensteinern, die auf der Suche nach Broterwerb damals ihre Heimat verlassen mussten). Nur war es für sie erst individuelles Erle- ben, von dem die Mehrzahl ihrer Zeitgenossen noch ausgenommen war. Rheinbergers Wörterbüchlein ist ein schönes Zeug- nis für die Anhänglichkeit, mit der ein Mensch ein Leben lang die Stätte seiner Jugend im Herzen be- halten kann. Und in diesem Rahmen zeugt das schlichte Werklein auch in ergreifender Weise von der Bedeutung, die unserer Muttersprache als der Sprache des Herzens zukommt. 145
	        

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