Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

sondern 'Korn, Dinkel'. Diesem kleinen sachlichen Irrtum des Komponisten auf landwirtschaftlichem Boden kann mit einiger Wahrscheinlichkeit noch ein weiterer angefügt werden: Meeni erklärt Rheinber- ger mit 'Pferdebestand', was mindestens nach mei- ner Erfahrung nicht richtig ist; in Grabs ist Miini nur das aus Rindvieh bestückte 'Jochgespann'. Kein Verständnisproblem ergab sich ferner für mich an- gesichts von Ausdrücken wie Guggööra 'Dachfen- ster' (in Grabs Guggeere), Khrooschpla 'Knorpel' (: Chroeschpt), Lellat 'Leintuch' (: Liläch), Arglischt 'Organist' (: Orgelischt). Auch der Ausdruck gree für 'fertig' (in Vaduz etwa: er wärt nid gree 'er wird nicht fertig [mit der Arbeit, z. B. im Wingert]') ist mir aus Grabs bekannt, allerdings nur noch in der Son- derbedeutung 'müde, abgeschlagen'. Besondere Genugtuung pflegt ein Grabser zu emp- finden, wenn er seinem ebenso häufig benötigten wie vielgeschmähten Wörtchen ötschis (für etwas)' auch ausserhalb des oberen Werdenbergs unver- hofft begegnet. Bei uns drüben ist ja kaum bekannt, dass der Balzner (oder auch der Montafoner) etschmr(t) sagt und etschwie, wo wir ötschwer ('je- mand') haben und ötschwie ('irgendwie'). Wer sich auskennt, wird beifügen, dass auch der Flumserber- ger etschis sagt. Die Erscheinung ist also recht weit- verbreitet. In Rheinbergers Wortliste erscheinen als Vertreter von deutsch 'etwas' gleich mehrere Aus- drücke: öppis, eppis und nämmis, daneben nun aber auch etschas. Damit scheint erwiesen, dass die et- schas-Zone noch vor gut hundert Jahren auch grös- sere Teile des Liechtensteiner Oberlandes mit um- fasste. Aus diesem Beispiel und aus dem Vorangehenden mag ersehen werden, dass sich in Vaduz sprachli- che Neuerungen ausgebreitet haben, gegenüber de- nen sowohl die Nachbardörfer des Oberlandes wie auch die linke Rheintalseite vielfach konservativere Formen bewahrten. Balznerisch tönen denn auch für den heutigen Vaduzer Gewährsmann Formen wie Äässa statt Äissa ('Furunkel'), Umbäässa statt Amäissa, Nascht statt Ascht ('Ast') - und eben das obenerwähnte etschas. Wenn Joseph Rheinberger diese Formen aufführt, so mag durchaus der Umstand mit hereingespielt ha-ben, 
dass eine seiner Grossmütter eine Balznerin (nämlich eine geborene Wolfinger) war. Ungeachtet dieser möglichen familiären Einflüsse bleibt aber doch unbezweifelbar, dass etliche lautliche und auch lexikalische Züge, die im übrigen in der ganzen oberländischen Talmundart Geltung haben, auch in Vaduz einmal durchs Band gegolten haben müssen. Wie der Mundartforscher Eugen Gabriel berichtet, starben in Vaduz um 1940 die letzten Leute, die für 'Horn, Morgen, worben' noch Harn, Marga, warba sagten. Zuletzt galt diese jetzt im Oberland ganz verschwundene Aussprachegewohnheit in Vaduz noch als Kennzeichen der «Oberdörfner Sprache». Für Joseph Rheinberger hatte sie offenkundig noch ganz unangefochtene Gültigkeit. Kehren wir aber nochmals kurz zum Wörtchen Um- bäässa zurück: zu ihm bleibt noch zu sagen, dass Vaduz geradezu eingekreist ist von solchen auf U- beginnenden Spielformen, denn auch für Schaan ist ja Umpäässa bezeugt, und am Grabserberg ist mir nie eine andere Form begegnet als UWwäise. Unter solchen Umständen ist es schon an sich nicht un- wahrscheinlich, dass einmal eine kompakte Wortzo- ne vorgelegen haben wird, der auch Vaduz angehör- te. Sollte sich diese Mutmassung heute durch die Befragung selbst der ältesten Einheimischen nicht mehr absichern lassen, so findet sich doch in der Wortliste von Rheinberger eine kaum zu bezweifeln- de Bestätigung. Bei so beschaffenen Verhältnissen wäre es nicht ganz unverständlich, wenn die Balzner die Meinung verträten, dass sie (in sprachlicher Hinsicht) recht eigentlich die «besseren Vaduzner» seien ... Umge- kehrt könnten allerdings mit gleichem Recht auch die Vaduzner zur Ansicht kommen, sie seien sozusa- gen die «besseren Balzner», indem sie sich der «al- ten Zöpfe» entledigt hätten, die in Balzers noch ganz in ihren Ehren und Rechten stehen. Beides wäre wohl zu einseitig gedacht. Vielmehr bestätigt sich hier die vielfach und weit herum zu machende Beob- achtung, dass die Randgebiete eines Mundartrau- mes eben manches von dem weitertragen, was auch im Zentrum einmal Gültigkeit besass, dort aber mitt- lerweile abgeschliffen worden ist. Hier Stellung zu nehmen, ist nicht einfach, auch wohl nicht unum- 144
	        

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