Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

DER KOMPONIST ALS LEXIKOGRAPH HANS STRICKER / HERBERT HILBE Sinnfragment, eine unflektierte Wortform, dar. Die ganze Wortliste stellt eine in gewissem Sinne chaoti- sche Anhäufung solcher Fragmente dar. Dies gilt für jedes Vokabular im Prinzip in ähnlicher Weise, nur wird in einem fachkundig gestalteten Wörterbuch in das ansonsten undurchschaubare Gewirr Ordnung gebracht durch ein klares Anordnungsprinzip (ent- weder alphabetische Ordnung oder Gliederung nach Sachgruppen), welches den rationalen Zugriff auf die einzelnen Wörter ermöglicht. Auch hier erweist sich, wie oben dargestellt, die Wortliste Rheinber- gers als blosse Rohfassung, die grundsätzlich alpha- betisch sein möchte, dann auch von diesem Prinzip abkommt und die aufgeführten Begriffe nun in kun- terbunter Mischung vorführt. Doch genug solcher Bemerkungen! Sie reichen durchaus hin, um uns zu zeigen, welche Erwartun- gen das Werklein füglich nicht erfüllen kann, auch nicht erfüllen will. Es wurde nicht von einem Spezia- listen geschrieben, und uns ist auch keine Absicht des Autors bekannt, es in die Hände von Spezialisten gelegt zu wissen. So tun wir nun besser daran, uns dem zuzuwenden, was das Wörterbuch uns an Informationen zu lie- fern vermag, und das ist auch in vorliegendem Fall recht viel. Die Wörter gelten seit jeher als «Grund und Boden» einer Sprache, als die sprachlichen Elemente, wel- che sozusagen «die Welt erschliessen». Was aber sind Wörter? Eine scheinbar banale Frage bei einer so alltäglichen Erfahrungsgrösse. Doch es verdient festgehalten zu werden-. Wörter kommen stets gleichsam janusköpfig, also zweigesichtig, daher. Sie sind Sprachzeichen, die sich grundsätzlich auf zwei Ebenen bewegen; sie bestehen wesenhaft aus einer Ausdrucksseite (hier: der jeweiligen Mundart- form) und einer Inhaltsseite (der jeweiligen Bedeu- tung). Wir gebrauchen ein Wort, um damit einer Idee, einem Begriff, einer Tätigkeit, einem Sachver- halt Ausdruck zu geben. Nun ist aber die Sprache, die uns in der Gegenwartsbetrachtung als ein festge- fügtes System entgegentritt, in historischer Perspek- tive keineswegs unwandelbar, sie ist vielmehr stets im Fluss. Schon im Laufe von zwei, drei Generatio- nen wandelt sich der Wortschatz als Ganzes be-trächtlich, 
es fallen Wörter in Vergessenheit, neue kommen hinzu, Aussprachegewohnheiten verän- dern sich, ebenso ist der Formen- und Satzbau durchaus nicht unerschütterlich. Dieser Wandel ge- schieht indessen nicht bloss von innen heraus, gleichsam ohne Zutun äusserer Geschehnisse. Auch die Welt verändert sich ja in einem fort; neue Gegen- stände, Begriffe, Ideen müssen sprachlich bewältigt werden, und so drängt auch der allgemeine Kultur- wandel immerfort zu sprachlicher Anpassung und Neuschöpfung. Hektischere Epochen lösen dabei ru- higere Zeiten ab. Zu keiner Zeit dürfte dieser Sprach- und Kulturwandel aber ein Ausmass er- reicht haben, das sich auch nur annähernd mit dem vergleichen liesse, was sich heute vor unseren Au- gen abspielt. So gesehen, stellt das Studium auch dieser kleinen Wortliste analog der Doppelnatur der Wörter in zwei Bereichen Informationen in Aussicht, nämlich 1) formal im Bereich der mundartlichen Ausdrucks- formen, und 2) inhaltlich in bezug auf die hinter den Wörtern stehende Begrifflichkeit. Sprachwandel und Kulturwandel lassen sich also, wenn auch frei- lich stets nur fragmentarisch, in den Blick fassen. Da und dort blitzen bei der Durchsicht der einfachen Wortliste Dinge auf, die unsere Aufmerksamkeit be- sonders in Anspruch nehmen. Da werden zum Beispiel Begriffe aufgeführt, die uns Heutigen schon in ihrer hochdeutschen Form alter- tümlich erscheinen, und deren sachlicher Hinter- grund besonders den Jungen unter uns oft gar nicht mehr geläufig ist. Wir lesen da von Aderlassen und Alpdrücken, von Auszehrung und Buttermilch, von Drangeid und Dublone, Eierweck und Espenlaub, von Gluckhenne und Haarseil, von Hanfbrechen und Johannisbrot, von Kapaun und Kienruss, von Kilt- gang und Lehnsmann, von Leibschaden und Mehl- schmarren, von Milchbrötchen und Putzpulver, von Stärkemehl und Theuerung, von Wagenschmiere und Weichselbaum, von Zinnschüssel und Zunder, usw. Die Liste bedarf keines langen Kommentars; wir spüren unschwer den archaischen Zug, der sie durchweht. Es ist im wesentlichen die ländliche Welt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die in Joseph 141
	        

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