Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1990) (88)

DAS HAUS LIECHTENSTEIN IN DER DEUTSCHEN LITERATUR / GRAHAM MARTIN Fürst Karl 1569-1627 Man muss ein halbes Dutzend Generationen über- springen, bis man zu weiteren Liechtensteinern ge- langt, die literarisch verwertet werden. Nicht uner- wartet hat einer der Höhepunkte in der Geschichte des Geschlechts, nämlich die Schaffung des eigentli- chen Fürstenhauses Liechtenstein, seinen Nieder- schlag in der schönen Literatur gefunden. Karl von Liechtenstein ist der erste des Geschlechts, dem der erbliche Fürstentitel verliehen wurde (Er- hebung in den erbländischen Fürstenstand 1608, Bestätigung des Reichsfürstenstandes 1620). Er ist zudem auch derjenige, dem die Herzogtümer Trop- pau und Jägerndorf für das Haus Liechtenstein zu- gesprochen wurden (1614 bzw. 1622). Sein wichtig- stes Amt war in den frühen Jahren des Dreissigjäh- rigen Krieges die für Kaiser Ferdinand II. wahrge- nommene Statthalterschaft in Prag als Vizekönig von Böhmen. Angesichts der Tatsache, dass im 17. Jahrhundert Gelegenheitsgedichte grosse Mode waren (in den ersten Jahrzehnten allerdings meist noch in lateinischer Sprache abgefasst) nimmt es Wunder, dass dieser mächtige Herr zu seinen Leb- zeiten literarisch anscheinend wenig gefeiert wurde. Im kurzen Abschnitt «Literatur» in seinem ausführ- lichen Werk über den Hofstaat des Fürsten Karl berichtet Herbert Haupt: «Der Rektor von Goldberg [Niederschlesien] dedizierte Karl am 20. Mai 1614 ein <carmen gratulatorium>, das sich wahrscheinlich auf die Übernahme der Herzogswürde in Troppau bezogen haben wird.»4'' Mit Karl von Liechtenstein nähern wir uns einer sehr umstrittenen Gestalt, die je nach Quelle in ganz unterschiedlichem Licht dargestellt wird. Dem Für- stenhaus nahestehende Geschichtsschreiber (vor al- lem der Verfasser der umfassendsten und teilweise immer noch massgebenden Geschichte, Jacob von Falke) heben natürlicherweise Karls Beiträge zur Vormacht und zum Reichtum des Hauses hervor und lassen seine weniger sympathischen Charakter- züge unerwähnt, während andere Historiker dazu neigen, Karl als macht- und geldgierig, kaltblütig und skrupellos zu schildern. Bei weitem die abge- rundetste und ausgeglichenste Darstellung Karls von Liechtenstein wurde vor kurzem von Volker Press vorgelegt, aber auch er spricht von gewissen 
«abstossenden Zügen».50 Es liegt nahe, dass Litera- ten, die Liechtensteiner als historische Gestalten darstellen wollen, als Quellenmateria] nicht die spe- zialisierte Geschichte des Fürstenhauses, sondern leicht zugängliche allgemeine Werke aufgreifen, weshalb es kaum verwunderlich ist, wenn Karl von Liechtenstein literarisch in einer meist eher un- schmeichelhaften Darstellung auftritt. Am häufigsten begegnet man Fürst Karl im Roman Wallenstein von Alfred Döblin (1920 veröffent- licht).'1 Gleich auf der zweiten Seite des Textes wird er beschrieben: Zur Linken des melancholischen Spaniers ein schmales wangenloses Ziegengesicht, über dem stumpfen Lederkoller die krebsrote Atlasschärpe, aus dünnen grünen Ärmeln langspinnig zielend ge- gen das Milleßoriglas, Karl von Liechtenstein, Oberstburggraf, Statthalter in Prag[...] (S. 10) Der Schauplatz ist ein Festbankett am Hof Kaiser Ferdinands IL, an dem die Niederwerfung des böh- mischen Aufstandes gefeiert wird. Nirgends im Text werden Jahreszahlen angegeben, aber vermutlich wird irgendein Zeitpunkt zwischen 1620 und 1622 gemeint. Im zweiten der sechs Bücher, in die dieser umfang- reiche Roman aufgeteilt ist, wird der Fürst Liechten- 46) Vgl. Anm. 24 oben. 47) Das Adjektiv «löwenkühn» kommt in diesem Zusammenhang ebenfalls in Hormayrs Darstellung der Geschichte des Hauses Liech- tenstein vor (vgl. Anm. 25; S. 58). 48) Im Gedicht ist das Wappen auf einem Becher geprägt, nach Hormayrs Darstellung auf einem Medaillon (vgl. ebda; S. 59). 49) Herbert Haupt, Fürst Karl von Liechtenstein. Obersthofmeister Kaiser Rudolfs II. und Vizekönig von Böhmen. Hofstaat und Sammel- tätigkeit, Quellen und Studien zur Geschichte des Fürstenhauses Liechtenstein, Wien, Köln u. Graz 1983; Bd. 1/1, S. 55; Bd. 1/2. S. 200. 50) Press, a.a.O., S. 31-47, bes. S. 43. 51) Alfred Döblin, 1878-1957, in Berlin tätig. Benützte Ausgabe: Walter-Verlag, Ölten 1965 (gleiche Paginierung auch bei der dtv- Ausgabe, München 1983). 97
	        

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