Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1984) (84)

eine flach ausgehöhlte Rückseite auf. Das wohl augenfälligste Merkmal, das die Grotenrather Altarfiguren auszeichnet, ist die Art der Gewandbildung, das bronzeartige, scharfgratige, bisweilen knitte- rige Faltenwerk, eine unverkennbare Erscheinung Kern'scher Skulp- turen. Die Erinnerung an die gotische Gewandfigur mit ihren tiefgehöhlten Faltenmassen erwacht. Anders als diese zeugen die Grotenrather Figuren jedoch von der Kenntnis des Körpers, der Funktion seiner Glieder und der Bedeutung der Gelenke, wie sie die Renaissance gelehrt hatte. Die Kleider sind angeklatscht, wirken feucht klebend. Der Körper prägt sich deutlich und naturnah lebendig aus. Diese Art der Gestaltung lässt sich über Kerns Lehrmeister Jörg Zürn und Virgil Moll zurückverfolgen bis zu Hans Morinck.118 An manchen Stellen, da, wo sich die Kleider vom Körper lösen, kann man eine weich fliessende Bewegung erkennen. In der raumhaften Bauschung des Gewandes liegt schon barocke Gestal- tungskraft. «Glied in einem Gesamtkunstwerk zu sein, einem Bewe- gungszusammenhang anzugehören, der ein transitorisches Sehen verlangt, über die eigene Grenze hinauszuverweisen in den Freiraum -das sind Grundgesetze barocker Plastik.»119 Auch wenn sich hier und da Bewegung freisetzt, aus den Altarfiguren selbst spricht deutlich ein statuarisches Gesetz. Ihr Aufbau, ihre Art zu stehen, der sorgfältig auf das Gegenstück bezogene Kontrapost ist renaissancemässig. Der gesunkenen Schul- ter entspricht die vortretende Hüfte, alle ausladenden Kräfte verteilen sich rhythmisch um die vertikale Achse. Selbst die schwebend- sitzenden Dachungsengel sind eher rhythmisch empfunden als dyna- misch erlebt. Renaissancehaft ist auch der verhältnismässig ruhige Umriss der Skulpturen. Unruhe indessen kennzeichnet die Gesichter. Gewiss, die Über- malung entstellt, verstärkt den noch vorhandenen Schematismus. 118 Den Einfluss Morincks erkennt auch: Oscar Sandner (N 68), S. XXIX. - «Morinck konfrontierte die von der mittelalterlichen Substanz zehrende einhei- mische Tradition mit den Gestaltungsprinzipien des Südens und konnte ihr so wesentliche Impulse vermitteln.» Zitat: Helmut Ricke (N 61), S. 132. 119 Zitat: Heinrich Lützeler, Meister der Plastik. Deutsche Kunst des Barock und Rokoko, Essen 1948, S. LI. 55
	        

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