Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1976) (76)

Bevor die Auswanderer aus Liechtenstein allerdings die Seereise antreten konnten, stand ihnen eine mehrtätige Bahnfahrt zum Ein- schiffungshafen bevor. Ihr Hab und Gut in Kisten und Koffern ver- packt (pro Person bestand Anrecht auf 100 Kilogramm Gepäck), fuhren sie zuerst nach Zürich und von dort nach Basel, wo sie zum ersten Mal auf Kosten der Auswanderungsagentur übernachteten. Nach einer wei- teren, zweitägigen Bahnfahrt, die über Nacht in Paris unterbrochen wurde, kamen sie schliesslich nach Le Havre, jenem Hafen, der für die meisten Liechtensteiner Emigranten letzte Station in Europa war.95 Sehr oft versuchten die Auswanderungsagenturen aber schon auf der Fahrt nach Le Havre zu sparen. Für grössere Reisegruppen mieteten sie Sonderzüge, und um Übernachtungskosten zu sparen, Hessen sie sie während der Nacht durch Frankreich rollen. «Schon von Basel aus geht's bereits immer nur bei Nacht», schreibt ein Auswanderer aus Vaduz, «bei Tag kann man in die Hotels (Wirtshäuser) hineinsitzen und sein Geld vertrinken».90 Oftmals wurden die Auswanderer, während sie auf ihre Einschiffung warteten, Opfer skrupelloser Wirte, Lebensmittel- verkäufer und falscher Agenten, die ihnen Eisenbahnfahrkarten für die Weiterfahrt in Amerika verkauften, die sich nach der Ankunft als mass- los überzahlt oder gar ungültig erwiesen.97 Dann kam der Tag der Einschiffung. In entsetzlicher Enge drängten sich Hunderte von Passagieren auf dem Zwischendeck der Auswanderer- schiffe. Über den Ausbau der Zwischendecks hatte die amerikanische Regierung zwar genaue und umfangreiche Bestimmungen erlassen: Es war verboten, in den für Auswanderer vorgesehenen Räumen zusätz- liche Ladung unterzubringen und jeder Passagier hatte auf dem Haupt- deck Anspruch auf einen Luftraum von 100, auf dem unteren Deck von 120 Kubikfuss. Die Raumhöhe hatte mindestens 6 Fuss zu betragen und die Bettstellen durften höchstens zweistöckig gebaut werden. Es war überdies streng verboten, mehr Passagiere mitzuführen, als das Schiff gemäss diesen Vorschriften aufnehmen konnte.98 Um auf jeder Über- 95 Hamburg, Bremen oder Antwerpen tauchen in den Berichten der Aus- wanderer praktisch nie auf. 96) «L. Volksblatt», 20. 4. 1883. Der Name des Verfassers ist nicht bekannt. 97 Karrer, S. 13 f. 98 Karrer, S. 297 f. 46
	        

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