Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1976) (76)

hatte die Flagge aufgezogen, lustig wehte sie an der Mastspitze. Die Seile wurden gelöst, die Verbindungsbrücken eingezogen, langsam quer- seit stiess der «Vaderland» vom Strande ab, seinen Kurs ins Meer hinaus nehmend. So leb denn wohl Europa! Lange noch standen wir an Deck und schauten hinüber ans Land, bis die Entfernung nurmehr ver- schwommene Umrisse erkennen liess. ... Andern Morgens war auch die Küste ausser Sicht. Unterdessen hatte ein unheimlicher Gast sich unter den Passagieren eingeschlichen — die Seekrankheit. Es wurde merklich stiller in den Räumen und leerer auf dem Verdeck; hie und da ein leises Gurgeln und Würgen, um alsbald einen oder den andern an Deck taumeln zu sehen, sich weit über das Geländer beugend, um sein innerstes Wesen den Fischen auszuschütten, da es bei den Menschen doch kein Verständnis fand. Mich selbst hat der ungebetene Gast noch ziemlich schonend behandelt; ein einziges Mal trat in offener Rebellion wieder zu Tage, was ich meinem Magen an Nährkräften zugeführt. Im grossen Ganzen ist eine Seereise lang- weilig; die Passagiere vertreiben sich die Zeit mit Karten- und Würfel- spielen, Musik u. dgl., soferne sie nicht seekrank im Bette liegen. Bei günstiger Witterung bietet sich jedoch auch Interessantes und wir hatten fortgesetzt schönstes Wetter, kaum dass ein Wölkchen den Himmel trübte. ... Der «Vaderland» machte durchschnittlich 350 — 360 Meilen per 24 Stunden, seine höchste Leistung war 398, die geringste 331 Meilen; diese Differenz ist der ruhigeren oder erregteren See zuzuschreiben. Am 21. April mittags stachen wir in See, am 31. April abends langten wir in New-York an. Am Morgen dieses letzten Tages hatten wir noch 65 Meilen zu machen. Die See nahm eine schmutzig-gelbe Farbe an und war ganz glatt und ruhig; mittags verrieten verschiedene Wahrzeichen die Unsicherheit der Wasserstrasse und die Nähe des Landes; allsbald stieg der Lotse an Bord, um den Dampfer sicher in den Hafen zu bug- sieren. Um 3 Uhr meldete der Matrose im Mastkorb «Land». Jetzt kam Leben in die Passagiere! Wer noch krank im Bette lag, war plötzlich gesund; das Wort «Land» hatte wie mit Zauberschlag die Krankheit ge- bannt; alles war im Festgewande und stürzte an Deck; die Schiffsmusik spielte; wieder wehte die Flagge von der Mastspitze; Vorbereitungen zur Landung wurden getroffen. Toller Jubel herrschte, «Land, Land, Amerika, Amerika !» erscholl der Ruf aus tausend Kehlen; jeder drängte vor, um sich zu überzeugen, das ersehnte Ziel zu begrüssen. Der 120
	        

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