Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1974) (74)

Überblickt man nun die Ausländer in Liechtenstein nach ihrer So- zialstruktur und nach ihrem Platz in der Sozialstruktur der liechtenstei- nischen Wohnbevölkerung, so zeigen die Ergebnisse alsbald die Bedeu- tung der Ausländer für die Veränderung der Sozialstruktur der Liechten- steiner selber. Die sozialen Unterschiede in der Gruppe der Ausländer waren und sind durchgehend grösser als unter der einheimischen Bevöl- kerung. Einerseits sind Arme und Ungebildete — Knechte, Mägde, Fa- brikarbeiter, Hilfskräfte —, andererseits Ausgebildete und zusehends Wohlhabende zugezogen. Ausländer haben also die unterste und die oberste Stufe der sozialen Pyramide in Liechtenstein aus- und aufgefüllt. Soziologisch gesprochen führte dies zugleich zu einer Unterschichtung wie zu einer Überschichtung der liechtensteinischen Bevölkerung, einer seltenen Kombination, da Migration und Unter- oder Uberschichtungen die Folgen von Entwicklungsgefällen zwischen verschiedenen Ländern sind.38 Liechtenstein war selber bis in unsere Jahrzehnte auf den mei- sten Gebieten «Entwicklungsland», daher die Überschichtung. Zugleich aber wies Liechtenstein schon im 19. Jahrhundert zu bestimmten Nach- bargebieten, im 20. Jahrhundert dann eben zu den südeuropäischen Ländern ein Entwicklungsgefälle auf, daher die dauernde Unterschich- tung. Die Entwicklung dauert bis heute fort, wenn auch in der Nach- kriegszeit vermehrt Leute aus mittleren Schichten zuwanderten und der breitere Zugang der Liechtensteiner zur Bildung begonnen hat.39 In Bezug auf die Unterschichtung durch Ausländer besteht die wichtigste geschichtliche Veränderung neben der quantitativen Zunahme darin, dass die Ausländer bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dem gleichen Sprach- und Kulturkreis angehörten wie die Liechtensteiner selber, während danach gerade die unterste Schicht der Ausländer überwie- gend fremdsprachig ist und sich daher viel stärker als «fremd» und «ausländisch» abhebt. Heute sind weniger als ein Fünftel der Ausländer in Liechtenstein fremdsprachig,40 gegenüber noch rund 25% um 38 Vgl. Hoffmann-Novotny, S. 2 ff., 37, 51 ff. Die von Meusburger, S. 3 f., 27 ff., für die Zeit seit 1930 aufgestellte These von der Über- und Unterschichtung der Sozialstruktur Liechtensteins gilt also als Grundzug für die ganze liechtensteinische Geschichte. 39 Siehe Meusburger, S. 35 f. 40 Ausländerstatistik, 31. Dez. 1974. 31
	        

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