Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1972) (72)

Wesentlich mehr Bedeutung als die Laudemien hatte das Zehntwesen im Wirtschaftsleben des liechtensteinischen Bauern.57 Die Bodenzinse waren durch die Rechtsverhältnisse der früheren Jahrhunderte begrün- det. Beim Zehnten fehlte jegliche rechtsgeschäftliche Beziehung zwi- schen Zehntherrn und Zehntpflichtigem. Daher dauerten die Streitig- keiten um diese Grundlast seit ihrer Einführung vor mehreren Jahr- hunderten bis zu ihrer Aufhebung im 19. Jahrhundert ununterbrochen an. — Der Zehnt58 war ursprünglich eine Abgabe an die Kirche, eine Art Kirchensteuer, die ihrerseits wieder in vier Teile geteilt, dem Bi- schof, dem jeweiligen Pfarrherrn, dem kirchlichen Armenwesen und dem Kirchenbau zukam. Durch Belehnung, Kauf, Schenkung, Verpfän- dung, Teilung etc. kamen die Zehnten öfters in andere Hände, und neben kirchlichen Stellen wurden auch Laien, insbesondere die Landes- herrschaft, zehntberechtigt. Bei der grossen Zahl der Zehntherren zer- fielen die einzelnen Zehntmarken, die sich meist mit den Dorfmarken deckten, in mehrere Zehntbezirke. Innerhalb solcher Zehntbezirke oder Gebietsteile bezog aber wiederum nicht ein und derselbe Zehntherr sein Gefälle, sondern in die verschiedenen Zehntarten, ja selbst in eine einzelne Zehntart, hatten sich oft mehrere Zehntherren zu teilen. Ange- sichts solcher Aufsplitterung von Berechtigten und angesichts der un- sicheren und umstrittenen Grenzen der Zehntbezirke kam es immer wieder zu unzähligen Misshelligkeiten, Anständen und fortgesetzten Streitigkeiten sowohl zwischen den Zehntherren untereinander, als auch zwischen Zehntberechtigten und -Pflichtigen.59 Zwei Fakten kennzeichneten die Zehntpflicht vor ihrem allmählichen Zerfall und ihrer schliesslichen Ablösung. Zunächst die Tatsache, dass grundsätzlich alles urbarisierte Erdreich, das mit zehntpflichtigen Früchten bepflanzt wurde, der Zehntpflicht unterstand, wenn für die Grundstücke keine besondere Zehntbefreiung nachgewiesen werden konnte. Als zweites Merkmal gilt die Ausdehnung der Zehntpflicht auf 57 Das ergibt sich allein schon aus dem Ausmass und der weiten, allgemeinen Verbreitung des Zehnten. 58 Vgl. dazu: Haberkern-Wallach, S. 669 f. Lütge, Wirtschaftsgeschichte, S. 104-214. 59 Solche Zehntstreitigkeiten lassen sich in der liechtensteinischen Geschichte immer wieder nachweisen. Die letzte, grosse Ausmasse annehmende Strei- tigkeit, spielte sich im 18. Jahrhundert zwischen Landesherrschaft und Klerus wegen des Novalzehnten ab. Als die Landesherrschaft 1720 den Novalzehnten als ihr Eigentum beanspruchte und einzog, belegte der Bi- schof von Chur die herrschaftlichen Beamten mit dem Kirchenbann und verhängte über die Kapellen auf dem Schloss und im Dorf Vaduz das Interdikt. Der Fürst antwortete mit dem Befehl an seine Untertanen, «die- sen nichtigen und feindseligen Kirchenbann» bei Lebensstrafe nicht zu beachten und liess alle geistlichen Güter und Einkünfte in Liechtenstein von der Obrigkeit in Beschlag nehmen. Der Streit konnte schliesslich durch eine kaiserliche Kommission und einen Schiedsspruch des Kaisers beigelegt werden. - Vgl. Kaiser (1847), S. 451-460. 99
	        

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