Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1972) (72)

immer wieder den Rücken. Erst der beispiellose wirtschaftliche Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Auswanderung aus wirtschaft- licher Not beendigt.118 Wieviele Einwohner in der zweiten Auswande- rungsperiode dem Land verlorengegangen sind, kann nicht genau ab- geklärt werden. Zwischen 1880 und 1921 dürften rund 3 000 .Personen weggezogen sein.119 Neben der bisher geschilderten dauernden Auswanderung mit Ver- mögensabzug hatte die zeitliche, saisonartige Auswanderung keinen geringeren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Je mehr die Volkszahl anstieg, und je weniger das Land Arbeit und Verdienst bieten konnte, desto mehr arbeitsfähige Leute waren ge- zwungen, auswärts ihr Brot zu verdienen. Der wirtschaftliche Nieder- gang im Gefolge der napoleonischen Kriege hat diese Tendenz noch gefördert. Jedes Jahr verliessen im Frühjahr viele Liechtensteiner das Land, zogen meist in die Schweiz und nach Süddeutschland, oft aber noch weiter, um sich als Handwerker, Dienstleute, oder Hilfsarbeiter zu verdingen. Im Herbst kehrten dann die meisten wieder in ihre Hei- mat zurück und blieben da über den Winter, andere arbeiteten gleich mehrere Jahre ununterbrochen im Ausland.120 Eine solche zeitliche Auswanderung brachte einige wirtschaftliche Vorteile für das Land. Die Saisonarbeiter brachten dringend benötigtes Geld herein und hal- fen dadurch wesentlich, die negative Zahlungsbilanz des Fürstentums aufzubessern.121 Dass nicht schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine massive dauernde Bevölkerungsabwanderung eingesetzt hatte, war in hohem Mass der Möglichkeit zur Saisonarbeit im Ausland zu verdan- ken. Die zeitliche Auswanderung hatte aber auch ihre soziale Seite, denn viele mussten schon im Kindesalter in die Ferne ziehen und sich mit Viehhüten, Ährensammeln oder Betteln ihre Nahrung suchen.122 118 Vgl. dazu: Alois Vogt, Die Entwicklung der liechtensteinischen Industrie. In: Das Fürstentum Liechtenstein im Wandel der Zeit und im Zeichen seiner Souveränität, Vaduz 1956, S. 101 - 110. 119 1900 hatten allein 1023 Liechtensteiner ihren Wohnsitz in der Schweiz, 508 in Österreich. (LRA 1904/ad Nr. 819. Verzeichnis). 1910 lebten be- reits 1366 und 1920 1632 Liechtensteiner in der Schweiz. (Amt für Statistik . Archiv-Nr. 1064). 120 LRA LBS, S. 38. LRA NR 28/13. 6. Sept. 1842, OA an HKW. Bericht über die Saisonauswanderung von liechtensteinischen Handwerkern und Hilfs- arbeitern. — Der Umfang der Saisonauswanderungen kann nur annähernd, indirekt erschlossen werden. Vgl. dazu Tabelle im Anhang Nr. 37, S. 108 — 110: Reisepassverzeichnis 1808-1842, Wanderbuchregister 1872- 1914 und Aufenthalt der Bevölkerung 1861 — 1921. 121 Liechtenstein konnte bis etwa 1860 in guten Erntejahren nur durch Über- schüsse der Landwirtschaftsprodukte (Wein, Getreide, Heu) und durch Ausfuhr von Zuchtvieh Devisen ins Land bringen, war andererseits aber aber auf Einfuhr von Lebensmitteln und gewerblichen Produkten ange- wiesen. 122 Vgl. Quaderer, S. 143. 62
	        

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