Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1972) (72)

Nicht nur durch die Abwendung von der unbeschränkten Gewerbe- freiheit unterschied sich die neue Gewerbeordnung von der alten, son- dern auch durch eigene Schutzbestimmungen für die Arbeitnehmer, das sog. «gewerbliche Hilfspersonal». Arbeitsräume, Maschinen und Geräte sollten bestmöglichen Unfallschutz gewähren und die Gesund- heit nicht schädigen.60 Kinder durften vor vollendetem 15. Lebensjahr nicht in Gewerbebetrieben arbeiten und für Jugendliche vom 15. bis zum 17. Lebensjahr, für weibliche Arbeitskräfte und für Wöchnerinnen galten eigene Schutzvorschriften.61 Die Regelung der Arbeitszeit und des Lohnwesens stellte gegenüber früher eine wertvolle Neuerung für den Arbeitnehmer dar.62 Die Krankenversicherungspflicht für die ge- samte gewerbliche Arbeitnehmerschaft war wohl die bedeutendste so- ziale Bestimmung der Gewerbeordnung von 1910.63 In den Paragraphen 74 bis 77 wurde die Gewerbegenossenschaft eingeführt, die den bishe- rigen Gewerbeverein ablöste.64 Im Gegensatz zum Gewerbeverein war die Mitgliedschaft in der Gewerbegenossenschaft für alle Gewerbetrei- benden obligatorisch. Das gewerbliche Hilfspersonal gehörte ebenfalls der Genosseschaft an, und dessen Funktion innerhalb der Genossen- schaft sollte durch ein eigenes Statut umschrieben werden. Als erste Instanz in allen Gewerbeangelegenheiten bestimmte die Gewerbeord- nung die Regierung.65 Ihre Aufgabe war es, Vorschriften der Gewerbe- ordung Nachachtung zu verschaffen, die Genossenschaft und die ihr angegliederten Sozialeinrichtungen zu beaufsichtigen, sowie das Ge- werberegister zu führen.66 Am 1. Januar 1911 trat die neue Gewerbeordnung in Kraft.67 Mit ihr war eine erfreuliche weitere Entwicklung des Gewerbewesens in Liech- tenstein eingeleitet worden. Erfreulich war der Ansatz zu einer Genos- 60 a. a. O., § 45. 61 a. a. O., § 46 u. 47. — Jugendliche und Frauen durften nur zu leichteren Arbeiten verwendet werden. Nachtarbeit war ihnen untersagt. Wöchnerin- nen durften erst vier Wochen nach ihrer Niederkunft wieder zur Arbeit herangezogen werden. 62 a. a. O., §§ 48 — 54. — Den Arbeitnehmern wurde eine minimale tägliche Ruhepause von IV» Stunden zugesichert (§ 48), und die Arbeitszeit in den Fabriken auf 11 Stunden beschränkt. (§ 50) Die Regierung behielt sich besondere Vorschriften zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbei- ter vor (§ 50) und gebot allgemeine Sonn- und Feiertagsruhe (§ 51). Das Lohnwesen wurde in den Paragraphen 52 — 54 geregelt, wobei die Interes- sen der Arbeitnehmer besonders berücksichtigt waren. 63 a.a.O., § 71. — Das Krankengeld wurde mit 50°/o des Lohneinkommens festgelegt. Die Versicherungskosten trugen zu zwei Dritteln die Arbeit- nehmer, zu einem Drittel die Arbeitgeber. 64 a. a. O., §§ 74-77. 65 a. a. O., § 78. 66 a. a. O., §§ 79-83. 67 a. a. O., Artikel 1. 235
	        

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