Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1966) (65)

storbenen Seelen als betende Gestalten paarweise hinter einem Sarg dahinziehen, so berühren sie sich bereits mit den schweizerischen Sagen vom «Totenvolk». Im Geisterzug des Totenvolkes gehen neben den Toten auch die Schatten der Lebenden, deren Tod bald bevorsteht. Ein Todesfall wird in jenem Haus eintreten, von wo der nächtliche Leichenzug zum Friedhof seinen Ausgang nimmt. Der letzte im Lei- chenzug ist vielfach der Beobachter selbst, der von dem Gemurmel, Beten und Getrampel des Totenvolkes geweckt wurde und nur unvoll- ständig bekleidet zum Fenster geeilt ist». Der Verfasser legt dann dar, dass Vorarlberg die Bezeichnung «Nachtvolk» nur im Sinne des dämonischen Geisterheeres kennt. Im südlichen Teile des Kantons St. Gallen und in Liechtenstein wird ausschliesslich die Bezeichnung «Nachtvolk» verwendet, schon mit der Vorstellung der Todesankündigung, in Graubünden sind die Vor- stellungselemente vermischt, und zwar im rätoromanischen wie im deutschsprachigen Gebiete, und auch die Bezeichnungen wechseln als «Nachtvolk», «Nachtschar» oder «Totenvolk». Von Sprachwissenschaftlern wurde überdies die Vermutung ausge- sprochen, dass der Name «Nachtvolk» eine Übertragung des romani- schen «pievel da noatg» ist. Wir möchten noch ergänzen, dass der Sagentyp auch im Oberwallis verbreitet ist und dort «Totenprozession» oder «Gratzug» heisst. Eine Sage aus Bellwald (Guntern 356) schliesst: «Hier im Volk heisst das Gratzug, weil sie jede Nacht über neun Gräte und neunundneunzig Friedhöfe mussten». Das Mitwandern im Zuge bis zum Betläuten, die Musik in den Lüften oder der Lärm, aber auch die Todesankündigung für den nur teilweise Bekleideten kommen in der Stammheimat un- serer Triesenberger vor. Betrachten wir unsere Sagen, so können wir Folgendes feststellen: In zwei Sagen, die schon vor über hundert Jahren aufgezeichnet wurden, finden wir das Tosen und Lärmen des Zuges (101) und das Auf- und Abfahren im Tobel (99), in einer Triesenberger Erzählung kommt die Schar wie der Gratzug des Wallis von der Höhe des Kulms herunter (100). Wenn das Volk einen Sarg im Zuge mitführt, kann der Beobachter meist nicht erkennen, wer darin liegt. Zu der Erzählung, in der die 163
	        

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