VI. Das Nachtvolk Die neueste und beste Untersuchung über diesen Sagentyp liefert Dr. Klaus Beitl in seiner Arbeit «Die Sagen vom Nachtvolk», der wir hier folgen: «Vom ausgedehnten Verbreitungsgebiet der deutschen Sagen von der «wilden Jagd» und dem «wilden oder wütenden Heer» hebt sich im südalemannischen Raum — in Vorarlberg, in der Ostschweiz und Graubünden — die durch ihren Namen und durch verschiedene Vorstel- lungselemente charakterisierte Gruppe der Sagen vom «Nachtvolk» ab. Der Sagenkomplex vom Nachtvolk als der eigentlich südalemanni- schen Form des nächtlich einherziehenden Geisterheeres enthält be- bestimmte Vorstellungelemente unterschiedlichen Charakters .. . und es ergeben sich innerhalb des Traditionsbereiches kleinere Erzählland- schaften». Beitl legt dann die einzelnen Erscheinungsformen dar: «In Vorarlberg ist es eine nächtlich ziehende Schar von Geistern, nicht Totengeister, die für eine Schuld büssen müssen und erlöst wer- den können. Es zieht in Geisterzeiten nachts durch die bewaldeten Töbler der Gebirgsbäche auf und ab, und seltsam schöne Musik geht von ihm aus, und es gebietet Schweigen, Ausweichen nach rechts, kurz Freigabe des Weges. Die Bezeichnung im Norden Vorarlbergs ist «Wuetas». Die Strafe des Ungehorsamen ist Entrückung, Krankheit, Blendung oder ein Hieb mit einem Beil oder Messer, und übers Jahr kann der Schaden wieder rückgängig gemacht werden. In Alphütten findet es sich gelegentlich zum Verspeisen einer Kuh ein, die dann wiederbelebt wird. Im Gebiet von St. Gallen, Glarus und Graubünden ist es gleichfalls eine führerlose Schar nächtlicher Gestalten, die manchmal mit Ge- brumm und Lärm einherziehen, aber sein Auftreten bedeutet Gefähr- dung. «Typisch für diese Landschaft ist das Motiv, dass der Umgang und Besuch des Nachtvolkes einen Todesfall oder gar den Ausbruch eines grossen Sterbens, der Pest, ankündigt. Treten schliesslich das Nachtvolk oder die Nachtschar in einer nächtlichen Prozession oder einem Leichenzug auf, in denen die ver- 162