Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1964) (63)

Unmittelbar unten lag ein tiefer, aber schön grünender Bruch, der in das Tal hinein zerschmolz; links erhob sich der schroffe Vorsprung, auf welchem die glänzend weissen Abteigebäude1) standen, die durch die bescheidenen braunen Wohnungen der Klosterinsassen noch blen- dender hervorgehoben wurden. Auf einer niedrigeren Höhe desselben Vorsprunges sah man eine Burgruine-), und unfern derselben auf einem gesonderten Felsen in malerischer Frömmigkeit ein bescheidenes Capellchen'), das behufs stiller Andacht dorthin gestellt zu sein schien. Wild und furchtbar rasete der Rhein, der eigensinnig bald sich zeigte, bald wieder verschwand, durch das Tal. Jenseits eines seiner hübsche- sten Punkte des Erscheinens dehnten liebliche Triften sich an den Hö- hen entlang, wo das Städtchen Maienfeld zwischen Kornfeldern, Obst- wuchs und grünenden Wiesen ruhete. Weiter zur Linken lugte ein namenloses Dörfchen4) aus Fruchthainen und Nussbäumen hervor, während die Öffnung eines edlen Bergpasses5), der sich in den Fehden der Graubündner berühmt machte, nebst den waldigen Rücken unge- heurer Berge den Hintergrund abgaben. Über diesem Allen zogen in scharfen Umrissen nackte Gipfel sich in hohem Relief gegen ein so reines Blau des Himmels ab, dass dadurch die erhabensten Eindrücke von der Tiefe des unendlichen Raumes zurückgelassen wurden. Während ich die Szene beschauete, quollen die Feiertöne der Kir- chenglocken, auf der Morgenluft durch Entfernung moduliert, wie Sphärenmusik zu mir herüber. Der Chorgesang, der bisweilen aus der Abtei erklang, mischte sich mit jenen melancholischen Tönen und schien die Seele einzuladen, sich vor dem Schöpfer einer Landschaft zu beugen, in welcher Anmut und Erhabenheit sich auf majestätische Weise vermischten. Als die Empfindungen, mit denen ich dieses köstliche Schauspiel betrachtete, sich ein wenig gesenkt hatten, wendete ich mich zu Land- karten und Fremdenbüchern voll Neugier, ob ich, nachdem ich die Ehre gehabt hatte, einen Berg zu entdecken, nicht jetzt das Glück haben sollte, ein Land zu erspähen. ') St. Pirminsberg. 2) Wartenstein. 3) St. Georgs-Kapelle. 4) Fläsch. •"' ) St. Luzisteig. 168
	        

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