Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1940) (40)

— 187 — schlichte Kind seiner Berge geblieben, und darin lag ohne Zweifel auch seine unverkennbare Vorliebe für Schüler begründet, die aus ähnlichen Verhältnissen stammten. Nicht ohne sichtbaren Stolz er- zählte er mir auch, dasz seine Mutter eine Schweizerin aus Disentis im Kanton Eraubünden gewesen sei^. Rheinbergers oft falsch verstandene Strenge im Unterricht war bedingt durch seine unbegrenzte Achtung vor dem Berufe und durch seine Überzeugung, dasz „Kunst" von „Können" kommt. Oberfläch- lichkeit im Schaffen ertrug er nicht, und wie er in den Orgelstunden auch nicht eine unrichtige Note unbeanstandet durchliesz, so rügte er im Kontrapunkt jeden, auch den leisesten Verstoß gegen Regel und Gesetz. Welcher gewesene Schüler erinnert sich nicht des berühmten „hüübsch" aus Rheinbergers Munde, wenn ihm bei seiner Arbeit an der Tafel etwa eine Quintenparallele unterlief? Es erklang in einem Tonfall, dasz man sich vor Scham am liebsten unter den Tisch verkrochen hätte! Kontrapunkt im Sinne des Meisters bedeutete die hohe Schule der Logik, und in der freien Komposition galten die klassischen Formen vor allen andern. Wer das nicht begriff, hatte bei Rheinberger nichts zu suchen. Das erfuhren wohl alle seine Schüler. Da fällt mir eben wieder ein Studienkollege ein, der wochenlang die Partitur in Riesenformat einer „Sinfonischen Dich- tung" — wer alles schrieb damals nicht „sinfonische Dichtungen"? — mit sich herumtrug und die er in allen Cafes liegen ließ, in der Hoffnung, daß sie jemand anschaue. Noch sehe ich Rheinberger vor mir, wie er in dem Band herumblätterte und zum Schluß anstelle des erwarteten Lobes lächelnd die Bemerkung machte: „Wollen Sie mir nicht lieber einmal ein Stück für vierstimmigen gemischten Chor bringen? Ich kann so große Partituren nicht gut lesen!" Bemer- kungen wie diese trugen natürlich viel dazu bei, daß Rheinberger bei den „Fortschrittlern" unter uns teils als „Reaktionär" ver- schrien, teils als „alter Herr" mitleidig belächelt wurde, lebten wir doch in einer Zeit scharfer Gegensätze in der Kunstauffassung, die sich besonders in München deutlicher auswirkten als an manchen 1. Elisabeth Rheinberger, aus dem bekannten Geschlechte der Carigiet in Eraubünden stammend, führte den Haushalt ihres Bruders, des in Schaan wirtenden Pfarrers und Landesvikars Anton Carigiet, und lernte dort auch den fürstlich-liechtensteinischen Rentmeister Johann Peter Rheinberger in Va- duz, den Vater von Joseph Rheinberger, kennen.
	        

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