Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1940) (40)

— 174 — gegebenes Thema als Fuge und nahm eine Choralzeile als Eegen- thema. Am Schluß setzte der ganze Choral ein, und das erste Fugen- thema wurde als begleitendes Motiv in allen Stimmen verwendet. » In der freien Komposition, bei Werken, die nicht als Schularbei- ten gedacht waren, ließ Rheinberger den Schülern viel Freiheit, vorausgesetzt, daß sie dem vierstimmigen Vokalsatz gerecht wurden. Das blieb aber Grundbedingung. Einmal brachte ein junger Kapell- meister eine Sinfonie. Der Meister besah nur die erste Seite und gab das Ganze dem Komponisten mit den Worten zurück: „Schreiben Sie vierstimmige Lieder!" Auch ich Kontrapunktkind wollte einige Lieder mit Klavier- begleitung, von denen eines meinem ersten Singspiel entnommen war, vorzeigen, erhielt aber nebst einigen kurzen Bemerkungen über die Schwierigkeit des Unterfangens nur denselben Bescheid. Es mußten also vierstimmige Chöre sein! Das war zuerst sehr schwer, und ich mühte mich lange Zeit vergeblich ab. Rheinberger zeigte aber viel Geduld. Er verbesserte, gab Ratschläge, ließ kleine Partien um- arbeiten, neue Reinschriften anlegen, so daß ich schließlich mit einer ganz anderen Arbeit erschien, die freilich gewandter als die erste aussah. Wenn ich glaubte, daß nun endlich die Sache probiert wer- den dürfe, dann sagte der Meister: „Sehen Sie, jetzt ist es viel besser. Jetzt versuchen Sie etwas Neues!" Und es wiederholte sich das alte Spiel: neues Feilen, Umarbeiten, hier die Stimmführung zu ungelenk, dort die Stimmung nicht genügend vertieft, dann fehlte die formelle Abrundung, daher neue Reinschrift, endlich neue Hoff- nung und schließlich: „Machen Sie nur so weiter!" Allmählich ließ, ich alle Hoffnung fahren, schrieb aber gewohn- heitsmäßig vierstimmige Lieder dutzendweise, grade so, wie ich aß, trank und schlief. Um so größer war daher die Überraschung, als Rheinberger eines Tages 3 unter 5 neuen Chören auswählte mit den Worten: „Die sind reif, die können Sie dem Herrn Konzertmeister Abel bringen". Er knüpfte für seine Tafelrunde die Mahnung daran, kein Stück je in den Chor- oder Orchesterstunden probieren zu lassen, das er nicht ausdrücklich gestattet habe. Der Herr Konzert- meister studierte nun die Chorlieder ein und ich fühlte mich nicht wenig geschmeichelt, wenn ich gefragt wurde, ob ich es mir so oder so gedacht habe. In Wahrheit wußte das immer Konzertmeister Abel
	        

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