Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1940) (40)

— 173 — Das war aber die einzige heitere Episode in diesen Stunden, sonst herrschte bitterer Ernst. Man anerkannte gern die Erösze des Mei- sters. Wenn auch eigensinnigerweise bei verpönten Vühnenwerken die Klasse des Gewaltigen fast vollzählig im Theater zu finden war — sie wußte ja, daß ihr Meister sicher nicht da sein würde — im ganzen schätzte man sich glücklich, sein Schüler zu sein und betrachtete sich entschieden als etwas Besseres als die anderen Musikschüler. Nur einmal beklagte, sich ein Empfindlicher beim Direktor über allzu strenge Behandlung von feiten des Meisters, mußte aber die einzig richtige Antwort hören: „Sie, mein Lieber, können wir entbehren, aber Rheinberger können wir nicht entbehren, also gehen Sie, wenn es Ihnen nicht paßt." Niemand bezweifelte, daß man etwas lernte, und besonders interessant wurden die Stunden, wenn etwa ein Korrespondent eines auswärtigen Blattes zuhörte, um Stoff zur Schilderung des Unterrichts bei dem berühmten Meister für seine Zeitung zu ge- winnen. Rheinbergers Lehrgang war etwa folgender: Im 1. Jahre wurden Choräle vierstimmig in den alten Schlüsseln mit dem Lsn- tus kinnus in jeder Stimme bearbeitet. Dazu trat später oft noch ein freies Motiv, das in jedem Takt und in den Zwischenpausen des Lsntüs auftreten mußte. Selbstverständlich gingen daneben die Übungen in fortlaufender Achtel-, Triolenbewegung oder dergleichen zu einer gegebenen Stimme. Das 2. Jahr brachte den doppelten und mehrfachen Kontrapunkt in Verbindung mit der Fugenlehre. Zuerst gab es vierstimmige Vokal-, dann Jnstrumentalfugen. Das Streich- quartett wurde oft zum Quintett bzw. Sextett bei Doppelfugen erwei- tert. An der dreistimmigen Fuge oder Fughette wurde der Orgelsatz studiert, an der zweistimmigen der Klaviersatz. Die Jnstrumenta- tionslehre wurde zunächst theoretisch erörtert. Im 3. Jahr wurde eine Mozartsche Klaviersonate instrumentiert. Zwanglos schloß sich daran die Behandlung größerer Formen, nachdem die kleinere For- menlehre unmerklich in homöopathischen Dosen dem Schüler schon früher beigebracht worden war. Ein gewaltiges Variationenwerk Mit 60 und mehr Veränderungen gab Gelegenheit, noch einmal alle Formen des Kontrapunkts durchzuproben und mit dieser Arbeit das Lehrgebäude zu krönen. Als Absolutorialaufgabe behandelte ich ein
	        

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