Volltext: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein (1914) (14)

— 124 — Aus dieser Urkunde erfahren wir auch, daß die meisten Mönche von St. Gallen damals nicht schreiben konnten- Sie ließen ihre Unterschriften durch einen Schreiber eintragen. Auch in einer späteren-Urkunde von 1293 erklärten die Mönche: „Weil nicht alle von uns schreiben können, haben wir alle durch einen Notar unsere Namen eintragen lassen." Selbst Priester bekannten, daß sie nicht schreiben konnten. Es wäre nun allerdings gefehlt, wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, daß diese Männer alle ohne wissenschaftliche Bildung gewesen wären, oder gar nicht einmal hätten lesen können. Unter denen, die bekannten, nicht schreiben zu können, befanden sich ja auch Priester, die also ihre Studien gemacht hatte«. Man konnte eben lesen ohne selbst schreiben zn können, gerade so, wie wir jetzt die Maschinenschrift, sehr gut lesen können, wenn wir auch nicht gelernt haben, die Schreibmaschine selbst zu handhabe». Damals konnten gebildete Leute oft uicht schreiben; sie lasen aber die geschriebenen Bücher und studierten sie>) Man hatte eben Schreiber, die das Schreiben von Urkunden als Kunsthandwerk betrieben. Man schrieb überhaupt damals, als das Papier noch nicht erfunden war, nicht soviel, wie heutzu- tage. Übrigens waren die Schreiber von Urkunden damals aus- schließlich Geistliche. Nichts desto weniger läßt der Umstand, daß damals so wenige Konventualen des Klosters zu schreiben ver- standen, doch auf einen bedauerlichen Tiefstand des wissenschaft- lichen Strebens schließen. Der Spruch: 
intsr g-riua silsnt Nns^s bewahrheitete sich auch hier. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unserem Abt Wil- helm zurück! Er trug sich mit der redlichen Absicht, das ihm anvertraute Kloster wirtschaftlich, wissenschaftlich und sittlich zu heben. Die Urkunden aus seiner ersten Amtsführung beweisen, daß er vor allem auf die Besserung der Finanzen bedacht war, von denen nach seiner richtigen Überzeugung auch die innere Restau- ration abhing. Er untersuchte vorerst die Höhe der Schulden, die sein Vorgänger dem Kloster hinterließ. Sie betrugen 1600 Mark Silbers, das nicht gerechnet, was verkauft und versetzt i) Kaiser Karl der Große lernte erst im Alter schreiben; Kaiser Otto der Große lernte es nie. Der geniale Dichter des „Parzival", Wolfram v. Eschenbach, konnte weder schreiben noch lesen.
	        

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