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Es könne nicht angehen, wenn ein Gericht seine
Entscheidungen durch Rechtsunkundige fallen las
se, meinte die Autorin. 289 Ausgehend von der 1953
durch den Staatsgerichtshof getroffenen weiten De
finition des Begriffes «rechtskundig» könne es theo
retisch möglich sein, dass «kein Mitglied des Rich
terkollegiums eines juridischen Universitätsstudi
ums bedürfe». 290
Im Jahre 2004 wurde ein Urteil des Obersten Ge
richtshofs angefochten u. a. mit der Begründung,
dieser «habe in einem Senat entschieden, dem zwei
Berufsrichter und drei Laienrichter ohne juristische
Vorbildung angehörten. Dem Anspruch des fair trial
nach Art. 6 EMRK werde dieses Gericht ebenso
nicht gerecht wie dem Anspruch des Art. 27 LV, weil
ein so zusammengesetztes Gericht nicht dazu in der
Lage sei, das materielle Recht in der, in der ZPO vor
gesehenen höchsten Instanz zu schützen. Die Beur
teilung der Rechtsfragen, die im gegenständlichen
Fall entschieden worden seien, setze nicht nur juris
tischen Sachverstand, sondern fundierte Rechts
kenntnisse voraus.... Es solle hier grundsätzlich zur
Diskussion gestellt werden, dass die Regelung in
Liechtenstein, wonach auch in höchster Instanz,
wenn schwierigste Rechtsfragen von grundsätzli
cher Bedeutung beurteilt werden sollten, im erken
nenden Senat Nichtjuristen mitwirkten und die Ju
risten sogar überstimmen können», weder mit der
Verfassung noch der EMRK vereinbar sei. 291 Der
Staatsgerichtshof hielt in seinem Leitsatz zu seinem
Urteil 2005 dazu fest: «Der Anspruch auf ein faires
Verfahren in Art. 6 Abs. 1 EMRK wie auch das Recht
auf den ordentlichen Richter gern. Art. 43 LV verlan
gen keineswegs, dass Laien nicht auch in als reine
Rechtsinstanzen fungierenden Höchstgerichten
Einsitz nehmen dürften. Die Besetzung eines Ge
richts mit Laien stellt im Grundsatz kein grund
rechtliches Problem dar. Auch wenn Laienrichter
für die Berufung in reine Rechtsinstanzen weniger
geeignet sind als für Unterinstanzen, gibt es auch
sachliche Gründe, welche für die Einsitznahme von
Laien auch in reinen Rechtsinstanzen sprechen, wie
etwa dass Laien als Vertreter des liechtensteini
schen Staatsvolkes einem legitimen staatspoliti
schen Bedürfnis entsprechen oder dass der Einbe
zug von Laien zu einer verständlicheren rechtlichen
Argumentation zwingt. Das Laienrichtertum ist zu
dem, wenn auch begrenzt auf eine Minderheit, bei
den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts verfas
sungsrechtlich verankert. Bei der kürzlich erfolgten
Verfassungsrevision hat der Verfassungsgeber of
fenbar keinen Anlass gesehen, hinsichtlich der Zivil
und Strafgerichte eine Mehrheit von rechtskundigen
Richtern vorzusehen. Der StGH sieht insgesamt eine
mehrheitliche Besetzung des OGH mit Laien als im
Einklang mit der Verfassung.» 292 In seiner Urteilsbe
gründung machte der Staatsgerichtshof weitere
Ausführungen zum Laienrichtertum. Er räumte u.a.
ein, «dass Laienrichter für die Berufung in reine
Rechtsinstanzen wie den OGH weniger geeignet
sind als für Unterinstanzen, in denen auch Tatfra
gen zu beurteilen und - etwa bei der Strafzumes
sung in den Strafgerichten - wichtige Ermessens
entscheide zu fällen sind. Denn dabei können Laien
ihre allgemeine Lebenserfahrung offensichtlich bes
ser einbringen als bei reinen Rechtsfragen.
...Schliesslich ist das Laienrichtertum auch in der
Landesverfassung selbst verankert: so in Art. 102
Abs. 1 LV für den VGH und durch Verweis auf diese
Bestimmung in Art. 105 LV auch für den StGH. Nun
sieht aber Art. 102 Abs. 1 iVm Art. 105 LV für den
VGH und den StGH vor, dass eine Richtermehrheit
rechtskundig sein müsse. Tatsächlich kann eine
Mehrheit von Laienrichtern im Einzelfall problema
tisch sein, wenn sich die Laien wichtigen rechtli
chen Überlegungen der rechtskundigen Richter ge
radezu verschliessen sollten. Wesentlich erscheint
dem StGH aber, dass der Spruchkörper anders als
bei einem Geschworenengericht nicht nur aus Laien
besteht und somit gewährleistet ist, dass alle we
sentlichen juristischen Beurteilungskriterien in die
Urteilsberatung einfliessen können. Jedenfalls hat
289) Margon, S. 91.
290) Ebenda, S. 93.
291) StGH 2004/63, Urteil 9. 5. 2005, LES 2/2006, S. 118. Siehe
auch Wille, Tobias, S. 80, Anm. 302.
292) Ebenda, S. 115.